Archiv der Kategorie: Was meint…?

Politiker, Medienmacher, Kabarettisten – sie alle können Experten sein. Ihre Meinung zu den Themen können Sie hier kompakt lesen.

„Den Fußball nicht überfordern“

In Fußball-Stadien gibt es international verbreitet homophobe Stimmungen und Gesänge. Patrick Gasser ist bei der Uefa (Union of European Football Associations) für soziale Tätigkeiten zuständig. Aktuellinfo sprach mit dem Uefa-Mitarbeiter darüber, wie der Verband dem Problem Homophobie entgegen treten kann.

Der Schweizer kümmert sich darum, dass der europäische Fußballverband seiner sozialen Verantwortung gerecht wird und koordiniert dafür unter anderem Projekte. Im Kampf gegen Homophobie kann der Fußball nicht alles leisten, gibt Gasser zu.

 

Herr Gasser, wie glauben Sie, kann man die verschiedenen Kulturen der Uefa-Mitgliedsverbände für ein gemeinsames Ziel wie die Anti-Diskriminierung zusammenführen?

Gasser: „Indem man in einem Netzwerk mit Nicht-Regierungsorganisationenarbeitet, die von der Situation vor Ort Kenntnis haben und genau wissen, wo der Schuh drückt.“

Aber ist die Denkweise in einem Thema wie der Homophobie beispielsweise unter Polen, Deutschen und Spaniern überhaupt vereinbar?

„Ja natürlich ist das vereinbar. Man muss die Situation so nehmen, wie sie ist. Die Entwicklung der Gesellschaft ist nicht überall gleich weit, deshalb muss man sie dort abholen, wo sie sind und versuchen, das konstruktiv zu bearbeiten.“

Wie viel kann die Uefa in diesem Prozess bewegen?

„Man muss einfach aufpassen, dass man den Fußball nicht überfordert. Der Fußball kann seinen Teil dazu beitragen, aber der Fußball kann nicht von alleine Probleme wie Rassismus, Diskriminierung oder Homophobie lösen. Da kann man einen Beitrag leisten, aber es braucht die Unterstützung von ganz vielen verschiedenen Mitspielern in der Gesellschaft, um ans Ziel zu kommen. Der Fußball ist nicht per Definition rassistisch oder diskriminierend, sondern das sind Teile der Gesellschaft. Der Fußball ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Damit muss man umgehen. Der Fußball soll aber seine Verantwortung übernehmen und einen Beitrag leisten.“

Worin liegen Ihre Hoffnungen, dabei Fortschritte zu erreichen?

„Ich glaube, in der Gesellschaft gab es schon immer rassistische und diskriminierende Tendenzen. Wichtig ist, dass man sie aufgreift und bearbeitet, das heißt etwas dagegen unternimmt. Aber ich glaube es ist illusorisch zu denken, dass man in einer absehbaren Frist jegliche Art von Diskriminierung oder Rassismus aus der europäischen Gesellschaft eliminiert. Es gibt solche Formen im arabischen Kulturkreis ebenso wie im asiatischen und im afrikanischen. Das gibt es überall auf der Welt, das ist kein europäisches Phänomen, es lebt sich nur anders aus.“

Macht die Uefa aber genug im Kampf gegen Diskriminierung?

„Die Frage ist: Was wäre genug? Aber ich denke, wir leisten unseren Beitrag über den Fußball.“

Henke: „Todeswunsch oft Hilflosigkeit der Betroffenen“

In der Debatte um ein neues Sterbehilfe-Gesetz stellt sich Rudolf Henke (CDU) einer Meinung entschieden entgegen: Dass lediglich der Suizid ein Tod in Würde ist. Für den Bundestagsabgeordneten bringt das Menschsein auch Leid mit sich. Im Gespräch mit aktuellinfo nimmt  der 61-Jährige klar Stellung zu Sterbehilfe durch Ärzte und Vereine und sagt, warum sich mehr Sterbehilfe-Angebote schlecht auswirken.

Rudolf_Henke
Fotograf: Andreas Hermann

Sie betonen, dass Leiden zu „unserer Bedingtheit als sterbliche Menschen“ gehört. Inwiefern haben Sie Verständnis für Menschen, die dem Leiden durch Sterbehilfe entkommen wollen?
Henke: „Ich habe diesen Satz als Reaktion auf die Aussage eines Kollegen getroffen, der während der Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag meinte, die moderne Medizin würde dazu beitragen, dass es chronische Krankheiten, Siechtum, chronische Leiden und sichere Unheilbarkeitsprognosen gibt. Ich habe darauf erwidert, dass ich anderer Meinung sei und denke, das bringen unsere Bedingtheit als sterbliche Menschen und ein auch mit eigenem Leiden konfrontiertes Leben mit sich.“

Wie stehen Sie zur aktuellen Debatte des Bundestags?
Henke: „Es geht mir in dieser Debatte auch darum, dass die Tötung eines Patienten, auch wenn sie auf dessen Verlangen erfolgt, sowie die Beihilfe zum Suizid nicht zu den Aufgaben der Ärzte gehören. So sieht es auch die Berufsordnung der in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte vor. Deshalb bin ich auch strikt gegen Regeln, die Ärzten die Beihilfe zum Suizid oder die Tötung auf Verlangen zur Aufgabe machen würden.“

Sollten zusätzlich Vereine Sterbehilfe leisten dürfen?
Henke: „Ich werbe für ein Verbot organisierter oder anderweitiger geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe. Ich setze darauf, dass wir so auch der Werbung für die Suizidunterstützung den Boden entziehen. Ich will dem Eindruck entgegentreten, es sei unnatürlich und stelle eine Einschränkung persönlicher Freiheit dar, am Lebensende auf den Mitmenschen angewiesen zu sein. Zudem möchte ich nicht in einer Gesellschaft leben, in der sich Menschen mit der Frage beschäftigen müssen: „Darf ich weiterleben oder muss ich sterben wollen und mich dann selbst töten?“

Schaffen mehr Angebote zur Sterbehilfe mehr Nachfrage?
Henke: „Wenn man sich die Zahlen aus den Ländern anschaut, in denen Tötung auf Verlangen zulässig ist, lassen sich durchaus derartige Schlüsse ziehen. Durch das Wirken von Sterbehilfeorganisationen entsteht die Gefahr eines gesellschaftlichen Klimas, in dem sich altersschwache, kranke oder behinderte Menschen ausgegrenzt oder als finanzielle Last für die Gesellschaft fühlen und zum Suizid gedrängt werden könnten.“  

Wie kann verhindert werden, dass sich solche Menschen zum Tod gedrängt fühlen?
Henke: „Der Wunsch nach dem Tod resultiert oft aus Hilflosigkeit und der Unwissenheit der Betroffenen. Klärt man einen Patienten jedoch über bestehende Behandlungsmöglichkeiten auf, die ihnen die Schmerzen, die Atemnot oder Übelkeit nehmen und ein Sterben in Würde ermöglichen, so hat er in aller Regel keinen Suizidwunsch mehr. Deshalb muss die Aufklärung über die Möglichkeiten, die uns die Palliativ- und Hospizversorgung bieten, verbessert werden.“

Wünschen Sie sich mehr Debatten, in denen es keinen Fraktionszwang gibt?
Henke: 
„Sterbebegleitung und Suizidassistenz sind ethisch sehr sensibel. Ich befürworte es, dass sich jeder Abgeordnete fraktionsübergreifenden Anträgen anschließen kann und  seine eigene Meinung nach bestem Wissen und Gewissen vertreten kann, da es eine sehr persönliche Entscheidung ist. Allerdings denke ich, dass in der Mehrzahl der Sachfragen ein Einklang der Abgeordneten einer Fraktion erst einmal anzustreben ist, im Sinne der Fraktionsdisziplin.“

 

Mehr zu Rudolf Henke

Aktuellinfo zum Thema Sterbehilfe:

Bericht zum neuen Gesetz

Kommentar zum Thema

 

 

 

„Ich sehe mich als Initialzünder“

Nach dem Aus im Playoff-Halbfinale versuchte Hallensprecher Tom Böttcher das Unmögliche. Im Fantalk sprach er direkt nach dem Spiel zu den Alba-Fans: „Stimmen euch ein paar Statistiken aus dem Spiel fröhlich? Sollen wir Bayern-Witze erzählen?“ Die Fans waren kaum zu erheitern, zu bitter war das Ausscheiden.

Der Hallensprecher moderiert auch die Morgensendung von RadioEins. Zu Heimspielen der Albatrosse gibt er aber in der O2-World alles für den Erfolg („Holen wir uns die Kirsche auf der Sahnetorte!„). Mit aktuellinfo sprach Böttcher darüber, wie er die Fans anheizt und wie er das Ausscheiden von Alba verarbeitet.

Herr Böttcher, im gestrigen Spiel gab es Phasen, in denen die Fans wegen des Rückstands unter Schock standen. Was sind Ihre Techniken, um als Hallensprecher in solchen Situationen wieder zu lauter Stimmung zu animieren?

Böttcher: „Die Fans bei Alba haben einen hohen Basketball-Verstand und wissen genau, wann stimmungsmäßig etwas zu bewegen ist. Ich sehe mich als Initialzünder, der eher versucht, das „normale Publikum“ zu animieren, das möglicherweise noch nicht oft die Erfahrung gemacht hat, dass man im BB auch einen 20-Punkte-Rückstand noch aufholen kann. Ich schrei sie nicht an, sondern versuche ihnen durch meine Erfahrung zu vermitteln, dass sie eine Menge Spaß haben können.“

Welchen Einfluss sprechen Sie den Fans auf den Spielverlauf zu und welchen Einfluss Ihnen als Motivator?

Böttcher: „Die Fans haben einen sehr großen Einfluss auf das Spiel, sie pushen das eigene und verunsichern das gegnerische Team. Mein Einfluss ist begrenzt, Hallensprecher sollten nie  Alleinunterhalter sein.“

Warum hat es gegen den FC Bayern München trotz zuvor makelloser Heimbilanz nicht gereicht?

Böttcher: „Möglicherweise lag es an solch profanen Dinge wie der Trefferquote.  Die war bei Alba schlecht, bei München grandios. Auf keinen Fall lag es am Einsatz und Willen. Der war riesig. Es gibt halt so Tage, wo zu wenig von außen fällt, tragischerweise war das in diesem Entscheidungsspiel so.“

Wie ist Ihre Devise nach einer solch enttäuschenden Niederlage: Volle Kraft voraus oder in Stille trauern?

Böttcher: „Wenn die Saison weitergeht, dann natürlich volle Kraft voraus und gleich in nächsten Spiel besser machen. Wenn die Saison – wie gestern – durch einen fehlenden Korb so abrupt endet, dann fühle ich große Traurigkeit und lebe die auch aus. Mit Leib und Seele heißt ja nicht nur Jubel, Trubel, Heiterkeit, sondern auch Mitfiebern und Mitleiden, vor allem bei so einem bewundernswerten Team wie diese Saison. Wahnsinnstypen, hat richtig Spaß gemacht!“


 

Mehr zu Tom Böttcher: https://mein.radioeins.de/profile/profileView.xhtml?userId=157750865

Verwendung des Bildes mit freundlicher Genehmigung von Thomas Schmidt, radioeins und Tom Böttcher.

Mit Rebounds zur Meisterschaft

Deutsche Basketballfans beobachten derzeit gespannt die Duelle zwischen dem FC Bayern München und Alba Berlin. In dem Playoff-Halbfinale steht es 1:1, der Ausgang ist offen. In der ersten Partie konnten die Berliner vor eigenem Publikum mit 81:55 ein deutliches Ausrufezeichen setzen. Die Münchener reagierten und glichen in ihrem ersten Heimspiel der Best-of-Five-Serie aus.

Im Gespräch mit aktuellinfo schätzt Emir Mutapcic, Assistenztrainer des FC Bayern, die Chancen gegen den Hauptstadtclub ein. Der Co-Trainer der Bayern, der auch Muki genannt wird, war 1991 selbst zwei Jahre für Alba Berlin aktiv. Er kennt den Gegner und ist zuversichtlich, das Finale zu erreichen – wenn die Bayern die Rebounds unter Kontrolle bekommen. Im Finale warten die Brose Baskets Bamberg.

Was sind die großen Stärken des FC Bayern, mit denen sie Alba Berlin bezwingen möchten?

Emir Mutapcic: „Unsere Bank ist wichtig. Wir müssen noch einmal spielen, wie das letzte Spiel in München. Wir müssen taff spielen, hart. Ich glaube, unsere zwölf Spieler sind besser, als die von Alba. Aber das müssen wir auf dem Spielfeld zeigen.“

Was hat Ihnen bei im ersten Spiel in Berlin am meisten Probleme gemacht?

Mutapcic: „Die Rebounds. Gegen Alba sind die Rebounds immer sehr wichtig, um zu gewinnen. Wir haben auch im ersten Spiel die Rebounds verloren und deshalb das Spiel verloren. Das bedeutet, uns erwartet ein schweres Spiel. Wir müssen die Rebounds kontrollieren.“

Wie realistisch sehen Sie die Chancen, ins Finale zu kommen und die Meisterschaft zu gewinnen?

Mutapcic: „Realistisch ist es schon, wir haben unsere Qualität. Die müssen wir durchsetzen, körperlich spielen, taff spielen und die Rebounds kontrollieren. Dann haben wir eine Chance.“

 

Bosbach: „Die Entscheidung fällt in Athen“

Portrait Bosbach (Medium)

Wolfgang Bosbach (CDU) ist seit 2009 Vorsitzender im Innenausschuss des Deutschen Bundestags. Zuvor war der 62-Jährige stellvertretender Vorsitzender der Union. Der Rheinländer lehnte die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms 2011 im Bundestag ab. Daraufhin wurde er von seinem damaligen Parteikollegen Ronald Pofalla angegangen. „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“, soll ihm dieser laut Spiegel gesagt haben.

Für aktuellinfo.com spricht Bosbach darüber und über die derzeitigen Probleme der neuen griechischen Regierung.

Herr Bosbach, warum gelingt Griechenland nicht die Wende? Handelt es sich eher um eine falsche Hilfspolitik seitens der EU oder um mangelnde Bereitschaft der Griechen?

Wolfgang Bosbach: „Griechenland fehlt es ganz sicher nicht am politischen Willen,  die Wende zum Besseren zu schaffen. Griechenland fehlt es zum einen an einer hinreichenden leistungs- und wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft und zum anderen an einer wirklich effizienten Verwaltung des Staates – und das gilt nicht nur für die Steuerverwaltung.
Ein Beispiel: Wenn Griechenland Jahr für Jahr Millionenbeträge, die seitens der EU für den Ausbau der Infrastruktur oder die Entwicklung der ländlichen Räume – umgangssprachlich formuliert – liegen lässt, weil es an förderwürdigen Projekten fehlt, dann hat das nichts mit einer falschen Hilfspolitik seitens der EU zu tun, sondern mit einer dringend optimierungsbedürftigen Effizienz staatlicher Institutionen.“

Wie sähe Ihre Lösung für die Schuldenkrise Griechenlands aus?

Bosbach: „Eine Krise, die durch Überschuldung entstanden ist, kann man nicht dadurch lösen, dass man dem Schuldner immer neue, beziehungsweise höhere Kredite gewährt, mit der Folge, dass sich der Schuldenstand und damit die Schuldenlast weiter erhöht. Im Übrigen: Die Entscheidung, ob Griechenland auf Dauer in der Eurozone bleiben möchte oder bleiben kann, fällt weder in Brüssel noch in Berlin, noch in den anderen Hauptstädten der Eurozone. Diese Entscheidung fällt ganz alleine in Athen.“

Sie sind bekennender Nein-Abstimmer für Griechenland-Hilfen. Wie sehr hat Sie der raue Ton und Gegenwind in der eigenen Partei schockiert?

Bosbach: „Die Behauptung in Ihrer Frage ist nicht ganz richtig. Dem ersten Hilfspaket für Griechenland habe ich – im Gegensatz zu einigen anderen Kolleginnen und Kollegen – zugestimmt. Dies in der Annahme, dass folgender Plan aufgehen würde: Die Eurozone hilft Griechenland bei der Überwindung seiner finanziellen Schwierigkeiten, gleichzeitig reformieren sich die griechische Wirtschaft und der griechische Staat so durchgreifend, dass das verloren gegangene Vertrauen der Finanzmärkte wieder zurückgewonnen werden kann.
Dieser Plan ist nicht nur nicht aufgegangen, die Probleme in Griechenland sind noch größer geworden. Daher konnte ich dem zweiten Hilfspaket und dessen Verlängerung nicht mehr zustimmen. Wenn man über 40 Jahre politisch arbeitet und gut 20 Jahre dem Deutschen Bundestag angehört, dann kann einen nichts mehr schockieren. Auch nicht raue Töne und Gegenwind aus der eigenen Partei.“

Während hier über mögliche Lösungen debattiert wird, sind von Alexis Tsipras weitere teure Versprechen für sein Land zu hören. Wie viel hält die EU  in dieser Streit-Frage noch aus?

Bosbach: „Wir haben schon viel ausgehalten und ich gehe davon aus, dass wir auch in Zukunft noch viel aushalten müssen. Die politische Strategie der neuen griechischen Regierung beobachte ich wirklich mit großem Interesse. Bis zur Stunde ist mir allerdings noch nicht einmal andeutungsweise klar geworden, wieso die Regierung ernsthaft glauben kann, dass dieser Kurs am Ende den erhofften Erfolg haben wird.
Wenn das Trio Tsipras/Varoufakis/Kammenos der griechischen Bevölkerung neue, teure Versprechen macht, dann habe ich das als deutscher Politiker weder zu kommentieren noch zu kritisieren, das müssen die Herren selbst verantworten. Allerdings kann die neue griechische Regierung nicht ernsthaft erwarten, dass ihre Wahlversprechen von den Steuerzahlern aus anderen Ländern finanziert werden.“

Kann es Griechenland unter dieser Regierung schaffen?

Bosbach: „Die Frage, ob Griechenland es unter dieser Regierung „schaffen“ kann, ist eine gute Frage – die ich nicht abschließend beurteilen kann. Wenn die Regierung den bis jetzt eingeschlagenen Kurs konsequent fortsetzt, dann dürfte sich meine Skepsis weiter vergrößern.“

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Foto: Manfred Esser

Ex-Verfassungsrichter: TTIP „rechtlich nicht hinnehmbar“

   DSC_2028 (Medium)

Siegfried Broß war Richter am Bundesgerichtshof und bis 2010 Richter am Bundesverfassungsgericht. Mit seinen Klauseln verstoße TTIP gegen die deutsche Verfassung sowie EU-Recht, kritisiert der Jurist im Interview mit aktuellinfo.com.

 

 

 

Herr Broß, birgt das geplante Freihandelsabkommen mehr Chancen oder Risiken für die EU und Deutschland?

Siegfried Broß: „Das kann man nicht absehen. Die Betrachtung unter diesem Aspekt ist auch schief, denn das geplante Freihandelsabkommen geht darüber hinaus, was man unter Freihandel versteht. Es geht da nicht nur um Chlorhühner oder gleiche Rückspiegel. Es wird erheblichen Einfluss nehmen und das an der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, der EU und der anderen Vertragsstaaten vorbei. Es ist schlicht ein Verstoß gegen das Demokratie- und Rechtsstaatprinzip. Es ist für Deutschland und die EU verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar. So kann das Abkommen nicht abgeschlossen werden.“

Was kritisieren Sie konkret?

Broß: „Die Öffentlichkeit wird nicht korrekt informiert. Vor ein paar Wochen noch haben die Chefs der großen Automobilhersteller gesagt, man brauche das Freihandelsabkommen, um Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei weiß jeder Laie: Wenn ich eine Produktpalette verschlanke, brauche ich viel weniger Produktionsstraßen und damit weniger Arbeitsplätze. Außerdem ist ein Freihandelsabkommen dieser Struktur immer mit Lohndumping verbunden.“

Sie kritisieren außerdem die nicht-öffentlichen Schiedsgerichte. Gäbe es eine zufriedenstellende Lösung für dieses Problem?

Broß: „Staatsschiedsgerichte sind die Lösung. Ähnliche Gerichte gibt es mit dem Seegerichtshof in Hamburg oder dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag bereits. Vertragliche Vereinbarungen zwischen Staaten sollten nicht ad-hoc und nicht geheim, sondern transparent gemacht werden. Private Schiedsgerichte auf der Völkerrechtsebene, auf der sich ausschließlich Staaten als taugliche Akteure bewegen, liegen jenseits meiner Vorstellungskraft.“

Vertreten die Verhandlungspartner seitens der EU unsere Standards ausreichend oder droht uns eine Überschwemmung amerikanischer Produkte?

Broß: „Wenn ich mit falschen Kategorien herangehe, kann nie etwas bei rauskommen. In Deutschland und der EU haben wir das Sozialstaatsgebot. Diese Elemente werden aber völlig ausgeblendet, es wird rein ökonomisch gedacht – und das auch noch schief, wie mein Beispiel aus der Automobilbranche zeigt. Mit solchen Freihandelsabkommen sollen die Menschen wirtschaftlich gemacht werden. Sie können das einem Rechtsstaat aber nicht einfach drüber stülpen. Man hätte vor den Verhandlungen zunächst ein Ziel definieren, den Rahmen abstecken und dann abklären müssen, ob das mit der Verfassung vereinbar ist.“

Wie schätzen Sie den weiteren Verlauf der Verhandlungen ein? Wird es zu einer für die EU-Bürger und deutschen Bürger zufriedenstellenden Lösung kommen, die mehr Vorteile, als Nachteile bringt?

Broß: „Wenn die derzeitige öffentliche Diskussion intensiv weiter laufen wird, bin ich davon überzeugt. Das Ganze, was jetzt auf dem Tisch liegt, muss sachgerecht modifiziert werden. Schon mit geringen Änderungen kann man das stimmig machen. Wenn das Abkommen aber scheitert, machen die Amerikaner das mit China. Was ich zu beanstanden habe, betrifft die Menschen nicht nur in der EU, sondern auch in den USA. Eine Fehlvorstellung ist, dass es bei dem Abschluss solcher Abkommen um einseitige Vorteile einzelner Vertragspartner geht. Das kann ich mit den hier zugrunde gelegten Vereinbarungen aber nie erreichen und das widerspricht auch dem Geist solcher Verträge an sich.“

 

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„Lippenbekenntnisse haben nicht weitergeholfen“

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Nadine Schön ist seit 2009 für die CDU Mitglied im Deutschen Bundestag. Die 31-Jährige ist stellvertetende Fraktionsvorsitzende und unter anderem im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend tätig.

Bei einer Rede im Deutschen Bundestag sagte Schön zur Frauenquote: „Der Tag, an dem wir dieses Gesetz wieder abschaffen, wird der beste Tag für Frauen sein.“ Für aktuellinfo.com nimmt Schön Stellung zur Frauenquote.

 

 

Frau Schön, ist die beschlossene Frauenquote ein Durchbruch oder nur ein Anfang?
Nadine Schön: Die feste Quote ist ein Türöffner, um Strukturen aufzubrechen. Den Rest können wir den talentierten Frauen selbst überlassen, denn es ist erwiesen, dass Frauen in Führungspositionen wie Magneten andere talentierte Frauen nach sich ziehen.

 

Braucht es die Quote, weil die Unternehmen nicht von alleine für mehr Gleichberechtigung sorgen?
Schön: Ja, so ist es. Es hat sich gezeigt, dass freiwillige Selbstverpflichtungen – die wir seit 14 Jahren haben –  und Lippenbekenntnisse nicht weitergeholfen haben. Daher war die Verabschiedung des Gesetzes der richtige Weg.

 

Arbeitnehmerinnen bekommen ihre Quote – rechtfertigt das auch bindende Quoten für Andere, wie zum Beispiel Alte oder Behinderte?
Schön: Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung sind Frauen. Wenn sie nicht adäquat in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vertreten sind, ist das ein Problem. Eine Quote für ältere Menschen in Führungspositionen halte ich nicht für erforderlich, da gerade für Aufsichtsratspositionen sicherlich gerne Menschen mit Berufserfahrung ausgesucht werden.
Eine Quote für die Beschäftigung behinderter Menschen gibt es bereits. Sobald Unternehmen mehr als 20 Angestellte haben, sind sie gesetzlich dazu verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Stellen an behinderte Menschen zu vergeben

 

Was folgt idealerweise nach der 30-Prozent-Quote? Eine Abschaffung, weil sie von Unternehmen freiwillig umgesetzt wird oder eine bindende Erhöhung, etwa auf 50 Prozent?
Schön: Ideal wäre es,  wenn wir eines Tages die volle Gleichstellung der Geschlechter in unserer Gesellschaft erreicht hätten und genau so viele Frauen wie Männer in den Entscheidungsebenen vertreten wären. Dann könnten wir auf die Quote verzichten.

 

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