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Chronik der Griechenland-Rettung

Aktueller Stand

Sowohl die griechische Regierung, der deutsche Bundestag, als auch die europäischen Finanzminister haben grünes Licht für Verhandlungen zu einem dritten Hilfspaket gegeben. Das beinhaltet Gelder in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro, aber auch strikte Reformen. Die griechische Regierung muss an der frühen Verrentung ebenso ansetzen wie bei den Steuersätzen.

Die Banken haben mittlerweile wieder geöffnet und geben den Kunden wieder mehr Geld aus. Unterdessen konnte Griechenland durch eine Brücken-Finanzierung Milliarden-Schulden bei der EZB und dem IWF zurückzahlen. Bis 20. August möchte die griechische Regierung eine Einigung über das dritte Hilfspaket erzielen.

Freitag, 17.07.

Heute wird im Bundestag über das Hilfspaket abgestimmt. Gestern sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihren Fraktion und versuchte sich der Überzeugung. Auch wenn es in den Reihen der Union so manche Bundestagsabgeordnete gibt, die gegen ein drittes Hilfspaket sind: Die Mehrheit im Bundestag scheint sicher.

Unterdessen möchte Alexis Tsipras nach Medienberichten sein Kabinett neu besetzen. Nach Angaben des Spiegel fehlt ihm die Unterstützung von einem Viertel seiner eigenen Abgeordneten. Im Herbst soll es dann Neuwahlen geben.

Die Europäische Zentralbank hat nun die Nothilfen für griechische Banken erhöht. Diesen stehen nun 900 Millionen Euro mehr zur Verfügung. Die Finanzminister der 28 EU-Staaten haben beschlossen, dass als Brückenfinanzierung bis August Gelder aus dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus fließen sollen. Dabei geht es angeblich um sieben Milliarden Euro, mit denen die griechische Regierung die fällig werdenden Schulden zurückzahlen soll.

Donnerstag, 16.07.

Finanzminister Wolfgang Schäuble steht mehr und mehr in der Kritik. Sein Vorstoß am vergangenen Wochenende, in welchem er einen Grexit auf Zeit anregte, bezeichnete er als mit der Bundesregierung abgesprochen. SPD-Chef Sigmar Gabriel aber kritisiert nun, das Konzept sei weder mit ihm, noch mit der SPD abgesprochen gewesen.

Heute sprach Schäuble in einem Radio-Interview erneut von dem Grexit auf Zeit, obwohl längst Abstimmungen zu einem neuen Hilfspaket laufen. Manche Medien vermuten, dass Schäuble nicht an eine Rettung Griechenlands und nicht an das dritte Hilfspaket glaubt und deshalb eigene Pläne forciert.

Mittwoch, 15.07.

Heute stimmt das griechische Parlament über das Hilfspaket ab. Ein Ergebnis ist bis 23 Uhr zu erwarten. Weil das Paket starke Reformen beinhaltet, ist es nicht selbstverständlich, dass Tsipras die Unterstützung der Opposition erhält. Darin enthalten ist unter anderem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Wegfall der Frührenten und höhere Steuern für Freiberufler und Villenbesitzer.

Dass Tsipras bei einer Ablehnung es Hilfspakets – er hatte beim Referendum ja selbst dafür geworben – zurücktritt, dementierte er vorerst. Er bezeichnete sich als “Kapitän auf einem Schiff in Schwierigkeiten, und das Schlimmste, was man tun könnte, wäre, das Schiff zu verlassen.” Vorgezogene Neuwahlen hingegen schloss er nach der Abstimmung nicht aus.

Am Freitag stimmt der Bundestag über das Hilfspaket ab. Dabei gilt als sicher, dass die große Koalition das Paket beschließen wird. Wolfgang Bosbach (CDU) kündigte an, erneut gegen das Hilfspaket zu stimmen – und daraufhin seine politische Zukunft zu überdenken.

Unterdessen wird es wohl noch dauern, bis die Banken in Griechenland wieder öffnen. Eine endgültige Einigung sei dafür entscheidend, so Tsipras, und die werde es “nicht vor einem Monat” geben.

Dienstag, 14.07.

Deutschland ist in der internationalen Medienberichterstattung nicht als Schlichter, sondern eher als Erpresser bezeichnet worden. Vor allem Finanzminister Wolfgang Schäuble kommt dabei nicht gut weg. Stark kritisiert wird – auch von Koalitionspartner SPD – sein Vorstoß, einen Grexit auf Zeit zu erwägen.

Schäuble betont nun, dieser sei mit der Bundesregierung abgesprochen gewesen und habe dort weiterhin mehrere Befürworter. Er verstehe deshalb nicht, weshalb das “hinterher zu irgendwelchen persönlichen Diffamierungen” genutzt werde.

Montag, 13.07.

Die Euro-Länder haben sich auf eine Lösung geeinigt. Erstmals wurde das heute morgen bestätigt, nachdem die Parteien die ganze Nacht verhandelten. Demnach soll es ein drittes Hilfspaket in Höhe von 82 bis 86 Milliarden Euro für Griechenland geben. Dafür verpflichtet sich die griechische Regierung zu strikten Reformen, vor allem was das Renteneintrittsalter sowie die Mehrwertsteuer angeht.

Euphorisch hören sich beide Seiten nicht an, da jeweils Zugeständnisse gemacht werden mussten. Bundeskanzlerin Angela Merkel begründet: “Die Vorteile einer Einigung überwiegen die Nachteile.” Die Einigung ist allerdings noch nicht tragfähig. Zunächst muss das griechische Parlament bis Mittwoch abstimmen. Dabei geht es darum, dass die Gläubiger und die griechische Regierung formell Verhandlungen aufnehmen.

Über den Inhalt dieser Verhandlungen haben sie aber in der vergangenen Nacht Einigkeit erzielt. Da die griechischen Oppositionsparteien Tsipras bereits ihre Unterstützung für die Verhandlungen zugesagt haben, gilt eine Bestätigung als wahrscheinlich. Im Anschluss stimmen auch andere EU-Parlamente über das Hilfspaket ab, ebenso der Bundestag. Auch hier gilt eine Zustimmung als wahrscheinlich – Merkel kündigte aber bereits an, die Vertrauensfrage nicht zu stellen.

EU-Kommisionschef Jean-Claude Juncker fasst die Stimmung der beiden Lager zusammen: “Ich denke nicht, dass das griechische Volk gedemütigt wurde, und ich denke nicht, dass die anderen Europäer ihr Gesicht verloren haben.” Ein Grexit sei nun “keine Option mehr.”

Sonntag, 12.07.

Der EU-Sondergipfel in Brüssel läuft. In diesen Stunden verhandeln die Regierungschefs der Euro-Zone. Ein wichtiger Punkt in den schwierigen Verhandlungen ist Vertrauen. Viele Euro-Länder trauen der griechischen Regierung nicht, was die Umsetzung strikter Reformen angeht. Deshalb wurde eine weitere Forderung in die Verhandlungen aufgenommen: Damit über ein drittes Hilfspaket verhandelt wird, soll Griechenland bis Mittwoch die Reformen zur Mehrwertsteuer und zur Rente per Gesetz festlegen.

Die Reformen sollen zudem stärker ausfallen, da die griechische Wirtschaft in der vergangenen Zeit weiter gelitten habe. Der Vorschlag von Schäuble, Griechenland könne für eine bestimmte Zeit aus der Euro-Zone austreten, wurde unter anderem von deutschen Oppositionsparteien scharf kritisiert.

Bekannt wurde nun, dass der gestrige Gipfel der Euro-Finanzminister in der Nacht auf heute hitzig endete. Die Welt berichtet, es soll eine Auseinandersetzung zwischen Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, und Wolfgang Schäuble gegeben haben. “Ich bin doch nicht blöd”, soll Schäuble Draghi auf eine Erklärung geantwortet haben.

Samstag, 11.07.

Das Angebot der griechischen Regierung wurde von Teilen der Gläubiger vorerst für gut befunden. Die griechischen Oppositionsparteien haben Tsipras für weitere Verhandlungen per Abstimmung den Rücken gestärkt. Doch allzu weit reichte die Harmonie in der Krise dann doch nicht.

“Auf dem Papier sind die Vorschläge nicht gut genug”, deutete der Euro-Gruppen-Chef Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem weiteren Verhandlungsbedarf an. Heute treffen sich die europäischen Finanzminister, um über Griechenlands Reformpläne zu sprechen. Wolfgang Schäuble brachte unter anderem eine neue Lösung ins Spiel: Griechenland tritt für mindestens fünf Jahre aus dem Euro aus und erholt sich.

Demnach würde das Land aber in der EU bleiben und somit “wachstumsstärkende, humanitäre und technische Unterstützung” erhalten, wie das deutsche Finanzministerium erklärt. Nach dieser Auszeit könne das Land dann wiedererstarkt in die Euro-Zone zurückkehren.

Freitag, 10.07.

Sowohl die Gläubiger, als auch die griechische Regierung beharren auf ihren Positionen. Klar ist: bis Sonntag muss eine der beiden Seite den entscheidenden Schritt zurückweichen. Die Fronten aber sind verhärtet, niemand möchte als Verlierer dastehen. Dennoch ist beiden Seiten bewusst, dass viel mehr auf dem Spiel steht, als Ehre oder der bloße Ruf.

In welche Richtung (siehe vier Szenarien vom Dienstag, 07.07.) sich die Krise wendet, ist vollkommen unvorhersehbar. Eine Einigung ist ebenso denkbar wie der Austritt Griechenlands aus dem Euro. In den kommenden Stunden und Tagen kommt es daher auf jede kleine Bewegung beider Seiten an – eine Entscheidung muss möglichst zeitnah her. Denn den Griechen droht das Geld auszugehen.

Warten die Gläubiger also zu lange, müssen die Griechen so oder so eine zweite Währung einführen. Diese würde parallel zum Euro in Griechenland existieren und eine Form des Grexits darstellen. Denn diese Währung wäre definitiv weniger wert, als der Euro – eine Abwertung wäre schon mal vorgenommen. Eine Rückführung zurück zum Euro wäre schwer.

Donnerstag, 09.07.

Die griechische Regierung hat ein Angebot eingereicht. Das beinhaltet Spar-Programme, über die das EU-Parlament nun beraten soll. Ob es zu Beratungen vor dem Gipfel am Sonntag kommt, ist offen. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, eine Einigung müsse in Tagen, nicht in Wochen erfolgen.

Nach Informationen der Bild hat Tsipras sein Angebot von Experten der Troika anfertigen lassen. In diesem Zusammenhang zitiert das Boulevardmedium einen “der ranghöchsten Beamten Griechenlands”: “Die Troika wird ja wohl kaum ein Angebot ablehnen, das sie mitgeschrieben hat.”

Mittwoch, 08.07.

Der Gipfel brachte keinen Durchbruch in eine bestimmte Richtung. Am Sonntag soll es einen weiteren Gipfel geben. Beide Seiten scheinen sich in bestimmten Punkten anzunähern. Finanzminister Wolfgang Schäuble betonte, dass ein Schuldenschnitt gegen EU-Recht verstoßen würde (kein Land darf für ein anderes haften).

Der Fraktionssprecher der Syriza-Partei, Nikos Filis, sagte der SZ, dass dieser auch nicht mehr die Bedingung der Griechen sei. Viel mehr sei eine Umstrukturierung der Schulden “ein ernst zu nehmender Vorschlag. Wir sind bereit, ein Abkommen in wenigen Tagen zu unterschreiben.” Allerdings dränge die Zeit. Dem Land geht das Geld aus.

Der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalatos gilt als intelligent und ruhig. Zum Treffen der EU-Finanzminister trat er erstmals auf, brachte er aber zum Ärger der Anwesenden kein schriftliches Angebot mit. Die Parteien verständigten sich aber darauf, dass Griechenland Hilfe aus dem ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) beantragen wird.

Am Mittwoch-Vormittag sprach Tsipras vor dem EU-Parlament. Dort wurde er dafür kritisiert, dass er sich nicht für die heftigen Aussagen von Varoufakis (“Terrorismus”) entschuldigt hat. Manfred Weber, Fraktion der EVP, wurde beim Aussprechen der Kritik von Buh-Rufen unterbrochen. Mehrere Parlamentsmitglieder zeigten Schilder mit “Oxi” oder “No”.

Dienstag, 07.07.

Heute findet der Euro-Gipfel in Brüssel statt. Dort wird sich zeigen, ob die Gläubiger oder Griechenland von seinen Forderungen eher abrücken. Tsipras geht gestärkt in die Verhandlungen, hat sich gestern für seinen Kurs die Zustimmung der griechischen Oppositionsparteien eingeholt. Die Banken sollen bis morgen geschlossen bleiben.

Der Spiegel berichtet über vier denkbare Szenarien des heutigen Krisen-Gipfels:

1. Es gibt ein drittes Hilfspaket. Dieses müsste bis Freitag beschlossen werden, denn da müssen die Griechen weitere Schulden zurückzahlen.

2. Beide Seiten einigen sich auf den Euro-Austritt Griechenlands und leiten Maßnahmen ein.

3. Es gibt keine Einigung. In diesem Fall müsste es noch in dieser Woche einen weiteren Euro-Gipfel geben, um Punkt 1 oder 2 zu erreichen.

4. Es gibt keine Einigung sowie keine Bereitschaft für weitere Gespräche. Griechenland würde auf den “Grexit” zusteuern, allerdings ohne Hilfe von außen. Dieser Fall wäre für die Menschen im Land fatal, Ausnahmezustände wären vorprogrammiert.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll Tsipras das letzte Angebot von der EU-Gruppe – welches vor dem Referendum gemacht wurde – nun doch annehmen und als Lösung vorschlagen. Allerdings möchte er demnach Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer erreichen sowie die Zusage, dass die Reformen der Renten später greifen. Die Gläubiger betonten vor dem Referendum allerdings, dass dieses Angebot lediglich bis vergangenen Dienstag gegolten habe.

Montag, 06.07.

Die Griechen haben die Spar-Pakete abgelehnt. Die griechische Regierung feiert das als großen Erfolg, Tsipras sprach davon, dass “sich Demokratie nicht erpressen lässt.” Er kündigte an: “Jetzt wird die griechische Schuldenlast auf den Verhandlungstisch kommen.” Gestärkt also möchte die griechische Regierung in die weiteren Verhandlungen gehen und auf einen Schuldenschnitt drängen.

Finanzminister Yanis Varoufakis tritt trotz des Erfolgs zurück. Mitglieder der Euro-Gruppe hätten ihm signalisiert, dass er auf den Treffen nicht mehr erwünscht sei, begründete er in seinem Blog. Auch Tsipras habe sein Ausscheiden als “potentiell hilfreich” angesehen, er wolle Tsipras mit seinem Rücktritt deshalb helfen. Auch die Opposition der griechischen Regierung soll sich für einen neuen Finanzminister in den Verhandlungen stark gemacht haben. Varoufakis brachte sich mit eigenen Aussagen selbst in diese Lage: Er warf den Gläubigern unter anderem “Terrorismus” vor, weil sie Angst schüren wollten.

Vizekanzler Sigmar Gabriel betonte, das “Nein” sei eine Absage an die Spielregeln der Euro-Zone. So seien “Verhandlungen über milliardenschwere Programme kaum vorstellbar.” Am Dienstag soll es einen Sondergipfel der Euro-Staaten geben, die europäischen Finanzminister sollen sich in den kommenden Tagen ebenfalls treffen.

Sonntag, 05.07.

Erste Hochrechnungen des Tages sehen die “Nein”-Abstimmer vorne. Demnach haben 60 Prozent der Abstimmenden gegen die Spar-Pakete der Gläubiger gestimmt. Das wäre ein deutliches Zeichen für den Kurs der griechischen Regierung, die dadurch in den Verhandlungen – wohl ab Montag – deutlichen Rückenwind verspüren dürfte.

Das heutige Referendum ist von hoher Bedeutung für die weitere Verhandlungsposition. Heute wird nicht entschieden, ob die Griechen weiterhin den Euro haben. Es wird aber entschieden, ob die griechische Regierung gestärkt durch das Votum ihres Volks in weitere Verhandlungen geht oder das Volk sich für die Spar-Pakete entscheidet und die Regierung womöglich zurücktritt.

Weiterhin sind die Prognosen sehr ausgeglichen. Es ist eine sehr emotionale Abstimmung. Mit der Schließung der Banken Anfang der Woche sowie der offiziellen Insolvenz-Erklärung des Landes seitens des IWF dürften mehr und mehr Griechen auf Sicherheit und damit die Spar-Pakete aus sein. Auf der anderen Seite ist die Wut gegen die “Spar-Diktatur” groß.

9,8 Millionen Griechen stimmen ab, im Ausland lebende Griechen müssen für die Abstimmung einfliegen. Mindestens 40 Prozent der Bevölkerung müssen sich beteiligen, damit das Ergebnis für die Regierung bindend ist. Laut griechischen Medien kostet das Referendum 110 Millionen Euro, die griechische Regierung geht von 50 Millionen aus.

Die Wahllokale sind bis 19 Uhr geöffnet, am Montag soll das offizielle Ergebnis bekannt gegeben werden. Am Sonntagabend wird es erste schlagkräftige Prognosen geben.

Samstag, 04.07.

Alle warten auf das morgige Referendum. Weiter gibt es Demonstrationen für und gegen die Spar-Pakete – bislang zeichnet sich allerdings keine Mehrheit ab. Es versammelten sich  20 000 Griechen, um für die Spar-Pakete zu demonstrieren. Sie hoffen dadurch auf einen sicheren Verbleib in der Euro-Zone. Ministerpräsident Alexis Tsipras sprach nochmals zu etwa 30 000 Griechen und warb dafür, die Spar-Pakete abzulehnen.

Für Finanzminister Wolfgang Schäuble käme das einem Grexit gleich: “Ob mit Euro oder vorübergehend ohne: Diese Frage können nur die Griechen selbst beantworten”, sagte er in der Bild. Dennoch werde man “die Menschen in Griechenland nicht im Stich lassen.” Schäuble schätzt die Lage für Deutschland und die anderen Euro-Länder nicht als kritisch ein: “Die Märkte haben schon in den vergangenen Tagen sehr zurückhaltend reagiert. Das zeigt, dass das Problem beherrschbar ist.”

Freitag, 03.07.

EINE GROßE ÜBERRASCHUNG: Der Rettungsfonds erklärt Griechenland für insolvent. Ursprünglich war erwartet worden, dass die Kreditgeber das Land nicht sofort für insolvent erklären. Eigentlich hätten sie insgesamt vier Wochen Zeit dazu gehabt. Die Auswirkungen für Griechenland dürften vor dem Referendum immens sein. Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) stellte den Zahlungsausfall offiziell fest, besteht aber nicht auf die sofortige Rückzahlung der Kredite.

Das Referendum am Sonntag  wird nun geprüft. Zwei Griechen haben beim Obersten Verwaltungsgericht Griechenlands eine Beschwerde gegen die Abstimmung eingelegt. Unterdessen gibt es große Demonstrationen: Sowohl die Befürworter der Spar-Pakete, als auch die Ablehnenden gehen für ihre Überzeugung auf die Straße.

Während sich Finanzminister Varoufakis deutlich positioniert und bei einem “Ja” (also dem Annehmen der Spar-Pakete) zurücktreten wird, wich Tsipras dieser Frage eher aus. So oder so, Varoufakis geht von einer Lösung der kritischen Verhandlungssituation aus: “Eine Einigung wird erzielt, egal ob an den Urnen ein Ja oder ein Nein herauskommt.”

Donnerstag, 02.07.

Wie sich die Griechen beim Referendum am Sonntag entscheiden, wird für die weiteren Verhandlungen entscheidend sein. Die griechische Regierung empfiehlt den Bürgern, die Spar-Pakete abzulehnen. Dem Vernehmen nach tritt die Regierung um Tsipras zurück, sollten sich die Griechen für die Spar-Pakete der Gläubiger entscheiden. Finanzminister Varoufakis äußerte sich dazu relativ eindeutig. Er werde keine andere Lösung akzeptieren, als eine Umstrukturierung der Schulden. “Lieber würde ich mir den rechten Arm abhacken”, sagte Varoufakis zu einer anderen Lösung.

Votieren die Griechen gegen die Spar-Pakete, kann Tsipras gestärkt und mit dem Argument, sein Volk hinter sich zu haben, in weitere Verhandlungen gehen. Derzeit gibt es verschiedene Umfragen – mal ist von einer Mehrheit für “Ja” die Rede, mal von “Nein”. Übereinstimmend erkennbar ist jedoch, dass die Schließung der Banken die Griechen eher dazu drängt, die Spar-Pakete anzunehmen.

Mittwoch, 01.07.

Heute ist es soweit: Die griechische Regierung hat den Kredit des IWF offiziell nicht zurückgezahlt. Der Kreditgeber könnte Griechenland deshalb ab jetzt in den kommenden vier Wochen für zahlungsunfähig  erklären. Jedoch ist ein solcher Schritt nicht so schnell zu erwarten, es laufen Beratungen. Es scheint, als soll das Referendum am Wochenende sowie darauf folgende Verhandlungen abgewartet werden. Die kommenden Tage bis zur Abstimmung könnten also ruhiger verlaufen.

Diese Meinung bestätigt Bundeskanzlerin Merkel. Demnach wolle die Bundesregierung das Referendum abwarten, ehe weiter verhandelt werden würde. Zugleich betonte Merkel am heutigen Tag: “Die Tür für Verhandlungen war immer offen und bleibt immer offen.” Was allerdings das bisherige Angebot der Gläubiger an die Griechen angeht, so sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble  heute: “Was abzulehnen, was anzunehmen ist, ist nicht mehr existent.” Dadurch, dass Griechenland den Kredit nicht zurückgezahlt hat, ist eine neue Verhandlungssituation entstanden.

Dienstag, 30.6.

Über die aktuelle Lagen kommen derzeit verschiedene Meldungen auf. Die griechische Regierung soll nun den Kurs gewechselt haben und um ein drittes Hilfsprogramm des Euro-Rettungsschirms bitten. Das berichtet die Finanznachrichtenagentur Bloomberg und beruft sich aus Informationen aus dem Büro des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das abgelehnt, möchte ihrerseits vor weiteren Verhandlungen das Referendum abwarten.

Aus EU-Kreisen heißt es, die Gläubiger stünden bis heute Abend für eine Einigung bereit. Um Mitternacht läuft die Frist zur Rückzahlung des IWF-Kredits ab. Eine Einigung bis dahin sähe wie folgt aus: Die griechische Regierung akzeptiert die Spar-Forderungen der Gläubiger und setzt sich für das Referendum am Wochenende dafür ein, dass die griechischen Bürger für “Ja”, also für das Spar-Paket, stimmen.

Die griechische Regierung hat bereits angekündigt, die fälligen 1,6 Milliarden Euro bis heute nicht zurück zu zahlen. Aus Griechenland kam nun die aktuelle Meldung, dass die griechische Regierung offenbar Gespräche mit den Gläubigern aufgenommen hat. Eine Einigung “in letzter Minute” scheint demnach nicht ausgeschlossen.

Unterdessen wurde in der gestrigen “Hart aber Fair”-Sendung ein ganz anderer Aspekt angesprochen. In Ausschnitten aus der Mittelfinger-Rede des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis betont dieser, die Griechen sollten das europäische Währungssystem doch mal mit seinen eigenen Fehler konfrontieren.

Montag, 29.6.

Der große Einbruch an den Börsen blieb aus. Der DAX verlor 500 Punkte. Ein Bänker schätzt im Gespräch mit aktuellinfo: “Sekündlich entstehen Schwankungen des DAX-Wertes. Ein Abrutschen um 500 Punkte gibt es immer mal wieder.” Viel mehr sei für die Börse interessant, sollte Griechenland aus der EU austreten.

Indes erklären die Gläubiger die Verhandlungen für beendet. Die griechische Regierung möchte am kommenden Sonntag ihre Bürger per Referendum befragen, ob sie das Angebot der Gläubiger annehmen möchten – dieses steht offensichtlich nicht mehr.

Entscheiden sich die Griechen dabei gegen das Angebot der Gläubiger, “dann ist das eine klare Entscheidung gegen den Verbleib im Euro”, betonte Vizekanzler Sigmar Gabriel am Montag. Entscheiden sie sich dafür, “werden wir uns solchen Verhandlungen nicht verschließen”, ergänzte Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Morgen um Mitternacht endet die Frist des IWF. Die Griechen werden das Geld bis dahin nicht zurückzahlen können. Der IWF könnte ab morgen Griechenland offiziell für zahlungsunfähig erklären. Allerdings könnte der IWF dies wegen einer Frist auch beliebig an einem Tag innerhalb der nächsten vier Wochen machen.

Sonntag, 28.6.

Der große Poker zieht sich in die Länge. Es gibt mehrere Treffen der europäischen Finanzminister und Regierungschefs, die aber keinen Fortschritt bringen. Im Gegenteil: Die aktuelle Entwicklung deutet auf einen Austritt Griechenlands hin. Die Gläubiger und Griechenland näherten sich in den Verhandlungen an (bestimmte Reformen wurden von Alexis Tsipras akzeptiert), ehe Tsipras eine Volksabstimmung für den 5. Juli ankündigte.

Darin sollen die Griechen entscheiden, ob sie den Bedinungen zustimmen – weil sich die Reformen auf mehrere Generationen auswirkten, so Tsipras. Daraufhin zogen die Gläubiger ihr Angebot verärgert zurück. “Griechenland hat den Verhandlungstisch verlassen”, kommentiert der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Am Montag nun könnte es zum großen Sturz an den Börsen kommen. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis gab indes bekannt, für Montag die Schließung griechischer Banken zu erwägen. Viele Griechen holen bei den Bankautomaten Geld – diese sind vielerorts mittlerweile leer. Die Banken haben Probleme, das viele Geld auf den Konten auf einen Schlag auszuzahlen.

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AfD: Zerfall einer Partei

Die Alternative für Deutschland (AfD) zerfällt in ihre Einzelteile. Beim Parteitag am vergangenen Wochenende wählten die Mitglieder Frauke Petry. Die neue Bundesvorsitzende möchte die AfD weiter rechts positionieren, Parteigründer Bernd Lucke wehrte sich bis zum Schluss dagegen.

Bereits Ende Mai berichtete aktuellinfo über den von Lucke initiierten Weckruf. Nun wurde das Szenario wahr: Lucke ist mit dem „Weckruf“ gescheitert. Mit dem Projekt wollte er möglichst viele Mitglieder für seine Grundidee der AfD begeistern und die Drohung des Massen-Parteiaustritts als Pfand für den Parteitag nutzen. Dafür folgten ihm allerdings zu wenige Mitglieder.

Nach eigenen Angaben hat der Weckruf 4 000 Mitglieder, etwa ein Fünftel aller AfD-Mitglieder. Beim Parteitag aber setzte es eine deutliche Niederlage für Lucke: 38 Prozent wollten ihn als Bundesvorsitzenden, 60 Prozent wählten Petry. In seiner Rede wurde Lucke immer wieder von Buh-Rufen unterbrochen.

Streitpunkt Pegida: Lucke dagegen, Petry dafür

„Wir haben nicht beschlossen, dass wir eine Pegida-Partei sind“, äußerte Lucke und erhielt Buh-Rufe. Auch auf seinen Hinweis der billigen Stimmungsmache setzte es Buh-Rufe. Petry hingegen hat hier die Mehrheit der Partei hinter sich: Pegida-Demonstranten seien die Bürger, „für die wir Politik machen wollen.“ Und der Islam? „Uns völlig fremd und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.“ Das sind Aussagen, die in der AfD mittlerweile umjubelt und mehrheitsfähig sind.

Für Lucke ist der Kampf um seine eigene Partei beendet. Nach der Wahl ließ er durchblicken, dass er die AfD verlassen werde. Nachdem ihm sein politisches Kind genommen wurde, wird es zum Feind. Treten die Mitglieder des Weckrufs tatsächlich aus der AfD aus, bedeutet das eine enorme Schwächung. Ob Lucke mit einer neuen Partei aber eine ähnliche Kraft entwickeln könnte, wie sie die AfD hatte, bleibt ungewiss.

Rechter Flügel dominiert: AfD wird für Mitglieder und Wähler zu einseitig

Die Zahl der Weckruf-Mitglieder ist für die Partei nicht unerheblich, zudem droht die Partei zu einseitig, zu rechtslastig zu werden. Petry kann die verschiedenen Flügel der AfD nicht mehr bedienen. So werden auf dem Parteitag drei Stellvertreter des zweiköpfigen Vorstands gewählt, die alle dem rechten Flügel zugeordnet werden. Einzig Jörg Meuthen, direkter Stellvertreter Petry´s, gilt als wirtschaftsliberal.

Mit der rechten Positionierung, was beispielsweise Themen wie Flüchtlingspolitik angeht, wird die AfD nicht mehr alle Euro-Kritiker erreichen. Für diejenigen, die zwar dem Euro kritisch gegenüber stehen, aber keine rechten Positionen unterstützen, ist die AfD keine Alternative mehr. Für die Kritik am Euro ist die Partei ursprünglich angetreten. „Das ist weit weg von dem, was ich 2013 vorhatte mit der AfD“, sagte ein sichtlich enttäuschter Lucke nach dem Parteitag.

 

 

 

Wenn nichts mehr geht

Der Tod liegt nicht in unserer Hand. Eigentlich. Was aber, wenn ein Mensch sein Leben aufgrund gewisser Umstände nicht mehr lebenswert findet? Der Bundestag debattiert in diesen Tagen über ein neues Gesetz zur Sterbehilfe. Die Meinungen der Abgeordneten sind dabei besonders breit gefächert, da es in dieser Debatte keinen Fraktionszwang gibt. Eine erste Bundestagsdebatte mit vielen emotionalen Reden gab es im vergangenen Dezember.

Neue Gelder: Künftig bundesweit 600 Millionen Euro für Sterbegleitung

In der Palliativarbeit werden die Schmerzen von todkranken Menschen gelindert, teilweise werden auch die Symptome einer Krankheit behandelt. Hospizarbeit dagegen soll es Menschen ermöglichen, in einer schönen Umgebung würdevoll zu sterben. Für den Ausbau dieser Bereiche plant die Bundesregierung jährlich 200 Millionen Euro mehr ein. So soll es auch auf dem Land künftig keine lückenhafte Versorgung mehr geben.

Noch in diesem Jahr stimmt der Bundestag über ein neues Sterbehilfe-Gesetz ab. In den bisherigen Reden zeigte sich bereits, die Politiker sind sich einig: Keiner soll sich qualvoll umbringen müssen. Ebenso herrscht unter den Abgeordneten Einigkeit darüber, dass Sterbehilfevereine keinesfalls profitorientiert arbeiten sollen. Auch die aktive Sterbehilfe, also der Todeswunsch ohne medizinische Not, soll weiterhin verboten sein.

Soweit war es das mit der Einigkeit. Die Abgeordneten sprachen für sich und ihre Entwürfe, teilweise gegen Politiker der eigenen Fraktion. Parteiübergreifend gibt es vier Gesetzentwürfe:

1.: Ärzte sollen beim Suizid helfen dürfen

Bisher bewegen sich Ärzte in Deutschland in einer Grauzone, was Sterbehilfe angeht. Behilfe zum Suizid ist zwar bislang straffrei, aber mehrere Landesärztekammern verbieten Ärzten diese Möglichkeit. Mit dem Antrag von CDU- und SPD-Politikern soll passive Sterbehilfe künftig im BGB für Ärzte ausdrücklich erlaubt sein.

Die Voraussetzung: Der Patient muss volljährig, unheilbar krank sein und einwilligen – ein zweiter Arzt muss das dann bestätigen. Man dürfe die Tür für die kleine Gruppe von Menschen, die den Tod trotz „aller Angebote der Palliativmedizin“ als nicht würdevoll empfinden, nicht verschließen, betonte Mitantragssteller Karl Lauterbach von der SPD.

2.: Sterbehilfevereine erlaubt – solange nicht profitorientiert

Sterbehilfevereine sind umstritten. So war in der Debatte von Menschen zu hören, die in Beratungsgesprächen solcher Vereine zum Tod gedrängt wurden. Für solche Fälle, in denen Sterbehilfevereine lediglich auf Profit aus sind, solle es Haftstrafen von bis zu drei Jahren geben, fordert dieser Antrag von Grünen- und Linken-Politikern. Auch Ärzte sollen Rechtssicherheit haben und passive Sterbehilfe ausführen dürfen.

3: Jeden Fall einzeln bewerten

Dieser Entwurf ist der einzige, an dem Abgeordnete aus allen Fraktionen beteiligt sind und bei dem auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe seine Zustimmung signalisiert. Auch hier soll verhindert werden, dass Sterbehilfevereine profitorientiert arbeiten, ebenso unter Androhung einer Haftstrafe. Vereinzelt solle es aber erlaubt sein, im Fall einer „schwierigen Konfliktsituation.“

4: Sterbehilfe streng bestrafen

Ein Antrag aus der CDU möchte Sterbehilfe jedweder Form verbieten. Anstiftung oder Hilfe zur Selbsttötung soll mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, fordern die Antragsteller. Damit wäre Sterbehilfe für Ärzte, Angehörige und Vereine verboten. Lediglich für einen Ausnahmefall mit extrem großem Leid lassen sich Abgeordneten hier eine Hintertür offen.

Mehr Möglichkeiten = mehr Selbsttötungen?

Die Anträge reichen also von einem strikten Sterbehilfeverbot, über eine Erlaubnis für Ärzte bis hin zu einer Legitimation auch für Sterbehilfevereine. Verschiedene Argumente treffen in der Debatte aufeinander. „Auch bei Sterbehilfe schafft Angebot Nachfrage“, warnte Michael Brand von der Union.

Diese These unterstützt Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler und verglich die Situation mit Zeiten des Sturm und Drangs, in denen das Buch „Die Leiden des jungen Werthers“ viele nachahmende Suizide zur Folge hatte. Unions-Politiker Peter Hintze widersprach diesem Bild und kritisierte, diese Warnungen seien „tiefes Misstrauen gegenüber unseren Ärzten“ und „gegenüber dem Menschen, der frei und selbstbestimmt sein Leben führen will.“

Müssen wir Leiden als Teil des Lebens hinnehmen?

Auch die Freiheit über das eigene Leben ist ein Grundargument. Petra Sitte, Abgeordnete der Linken, hat ihren Vater beim Sterben begleitet. Er habe schwer gelitten und in den letzten Tagen seines Lebens die Nahrungsaufnahme verweigert, ehe „er endlich mit multiplem Organversagen hinüberdämmern konnte“, berichtete sie.

Für Tausende sei es eine „schreckliche Vorstellung“, dem Tod gut gepflegt entgegenzugehen, betonte die bekennende Atheistin. Dagegen kritisierte Rudolf Henke von der Union, es werde der Eindruck erweckt, dass lediglich der Suizid ein Sterben in Würde sei. Dabei bringe „unsere Bedingtheit als sterbliche Menschen“ auch ein Leben mit sich, das mit eigenem Leiden konfrontiert werde.

Die Debatte drehte und wird sich um diese Argumente drehen. Die Politiker werben für ihre Überzeugungen, dieses Mal frei von jeder politischen Orientierung, oft aufgrund persönlicher Erfahrungen. Für eine Regelung der Sterbebegleitung brauche die Politik eine breite gesellschaftliche Akzeptanz, äußerte Carola Reimann von der SPD, und schlussfolgerte: „Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte.“ Die wird es nun geben.

 

 

 

Griechen-Poker: Die Wege aus der Krise

Nie schien die Euro-Krise bedrohlicher, nie schien Griechenland einem Austritt aus der Europäischen Union näher. Inmitten der Verhandlungen verwischen die eigentlichen Zustände und möglichen Lösungen allerdings. Griechische Neuwahlen, Austritt aus dem Euro, Austritt aus der Europäischen Union, Rettung – wie wahrscheinlich, wie bedrohlich sind die Szenarien?

Verhandlungen vor dem Scheitern: Nun sind Merkel und Tsipras gefragt

Alle Verhandlungspartner möchten Griechenland im Euro halten – so die offizielle Haltung. Aus deutscher Sicht wird die zugespitzte Situation auch an den Akteuren deutlich. Nicht mehr Finanzminister Wolfgang Schäuble verhandelt mit seinem griechischen Pendant Yanis Varoufakis, sondern Bundeskanzlerin Angela Merkel und der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras.

Worum geht es bei den Verhandlungen? Die Geldgeber – die EU-Kommission, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB) möchten, dass die Griechen Reformen strikter umsetzen – die griechische Regierung aber möchte, dass die Gläubiger auf einen Teil der Rückzahlungen verzichten. Um die Schulden abzutragen, soll das Land anfangen, Gewinne zu erwirtschaften. Das ist zwar mit einer Erhöhung der Steuern verbunden, wurde aber von Tsipras akzeptiert.

Auch beim Thema Privatisierung kommen sich die Gläubiger und Griechenland näher. Für die Privatisierung unter anderem der Eisenbahn und Regionalflughäfen sowie dem Verkauf von staatlichen Grundstücken sollen nach Angaben der SZ bis 2022 etwa 22 Milliarden Euro erwirtschaftet werden. Beim Thema Steuern hingegen sind sich die beiden Parteien noch nicht einig. Dies ist ein Punkt, an dem die griechische Regierung ihre Bevölkerung vor allzu großen Einschnitten bewahren möchten. Nach Informationen der Bild soll Tsipras mittlerweile aber auch hier kompromissbereit sein.

Ende Juni wird es gefährlich: 1,5 Milliarden Euro muss Griechenland zurückzahlen

Der IWF stellte bisher insgesamt 32,1 Milliarden Euro bereit. Dass sich die Verhandlungen nun zuspitzen, liegt an Fristen zur Rückzahlung. Die nächste Rückzahlung steht am 30. Juni an: Es geht um 1,5 Milliarden Euro des IWF. Nach Medienberichten soll die griechische Regierung nicht zur Rückzahlung fähig sein und ersucht nun deshalb Verhandlungen.

Eine endgültige Lösung des Problems ist auch beim heutigen Sondergipfel nicht zu erwarten. Dabei treffen sich die EU-Regierungschefs und beraten auch über neue Vorschläge, die Tsipras unterbreitet. Nach einem Bericht der Welt sehen die Vorschläge unter anderem neues Geld vor: Zur Rückzahlung bestehender Kredite sowie zum Fördern der griechischen Wirtschaft.

Folgen eines „Grexit“ für Deutschland, Europa und Griechenland

Am Anfang der Griechenland-Krise wurde der „Grexit“, der Austritt Griechenlands aus der Währungsunion, von den Akteuren vehement ausgeschlossen. Die Meinungen haben sich geändert: Im Gegensatz zu Bundeskanzlerin Merkel schließt Schäuble einen Austritt Griechenlands nicht mehr aus. Was wären die Folgen?

Für Deutschland hieße das, dass die bisherigen Kreditleistungen höchstwahrscheinlich verloren sind. Frankreich steckt in einem ähnlichen Dilemma, hat viel gegeben: Zusammen verlören die beiden Länder mit einem Schlag 160 Milliarden Euro. Die Auswirkungen auf die Börse sowie auf Anleger können selbst von Experten schwer eingeschätzt werden – positiv fallen die Prognosen natürlich nicht aus. Alleine deshalb versuchen die Verhandelnden in ihren Aussagen den „Grexit“ auszuschließen.

Für Europa hieße das, dass ein erstes Mitglied den Euro abgeschafft hätte. Für die Stabilität der Euro-Zone wäre das zu verkraften. Drastischer könnte aber die Signalwirkung sein. Andere angeschlagene Länder könnten dem Beispiel Griechenlands folgen oder mit dem Austritt drohen, um strikten Reformen zu entgehen. Die Solidarität unter europäischen Ländern steht derzeit vor harten Proben. Der Euro ist das gemeinsame Projekt – scheitert ein Land, sind die Folgen unvorhersehbar.

Für Griechenland hieße das: Es bedarf einer neuen Währung. Dieses Szenario beschreibt der Spiegel wie folgt: Bis eine neue Währung eingesetzt werden würde, liefe der griechische Zahlungsverkehr beispielsweise beim Supermarkt über Schuldscheine. Erfahrungsgemäß trauen die Menschen diesen Schuldscheinen nicht die gleiche Sicherheit wie Geldscheinen an und würden diese quasi automatisch abwerten.

Diese Abwertung würde auch mit der später eingeführten neuen Währung folgen – das neue griechische Geld wäre weitaus weniger wert, als der Euro oder andere Währungen. Was diese Vorgänge in der Bevölkerung auslösen, können Experten ebenfalls nur vage vorhersagen – allerdings ist in der ohnehin angespannten Situation viel Ärger zu erwarten. Die griechische Bevölkerung reagiert bereits jetzt verängstigt auf die Krise und holt immer mehr Bargeld von den Konten, um es zu Hause zu lagern.

Griechenland: Ohne Euro kein Mitlied der Europäischen Union?

greece-714931_1280Nur 19 von 28 EU-Ländern haben den Euro. Eine Mitgliedschaft ist also nicht zwangsläufig an die Währung gebunden. Somit wäre theoretisch der Fortbestand der griechischen Mitgliedschaft auch ohne den Euro möglich.

Praktisch aber wäre Griechenland das erste Mitglied, das den Euro abschafft und ein folgender Austritt aus der EU wäre keine Überraschung. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz forderte in der faz bereits, dass Griechenland ohne den Euro auch aus der EU austreten müssen: „Was nicht geht: aus dem Euro ausscheiden, seine Schulden nicht zurückzahlen, aber erwarten, dass die Mittel aus dem EU-Haushalt weiter fröhlich fließen.“

Ob die Krise in Griechenland gelöst werden kann, vermag derzeit kein Experte mit gutem Gewissen zu beurteilen. Zu den ökonomischen Schwierigkeiten gesellen sich politische Verhandlungen, die undurchsichtig sind. Von der griechischen Regierung war bereits die Androhung zu hören, notfalls gebe es Neuwahlen. Im März äußerte sich Wolfgang Bosbach im Interview mit aktuellinfo skeptisch, was eine Rettung Griechenlands angeht. „Die Entscheidung fällt in Athen“, betonte der CDU-Abgeordnete.

Bosbach hat dem zweiten Hilfspaket im Bundestag nicht zugestimmt und wurde daraufhin parteiintern hart angegangen. In der vergangenen Woche verteidigte er seine Meinung in der Talkshow von Günther Jauch erneut und betonte, er werde nicht für ein drittes Hilfspaket stimmen – notfalls auch persönliche Konsequenzen ziehen.

Bevor jedoch über ein mögliches drittes Hilfspaket debattiert wird, muss eine Einigung über die kommende Zeit getroffen werden. Die Frist am 30. Juni ist nämlich nur die nächste, innerhalb derer die griechische Regierung Rückzahlungen leisten müsste. Bis dahin werden sich die Verhandelnden einigen müssen – ebenso, wie mit kommenden Fristen verfahren wird.


AKTUALISIERUNG:

Der große Poker zieht sich in die Länge. Es gibt mehrere Treffen der europäischen Finanzminister und Regierungschefs, die aber keinen Fortschritt bringen. Im Gegenteil: Die aktuelle Entwicklung deutet auf einen Austritt Griechenlands hin. Die Gläubiger und Griechenland näherten sich in den Verhandlungen an (bestimmte Reformen wurden von Alexis Tsipras akzeptiert), ehe Tsipras eine Volksabstimmung für den 5. Juli ankündigte.

Darin sollen die Griechen entscheiden, ob sie den Bedinungen zustimmen – weil sich die Reformen auf mehrere Generationen auswirkten, so Tsipras. Daraufhin zogen die Gläubiger ihr Angebot verärgert zurück. „Griechenland hat den Verhandlungstisch verlassen“, kommentiert der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble.

 

 

 

G7-Gipfel: Weltverbesserung oder nur heiße Luft?

In zwei Tagen wollen die mächtigen Regierungs- und Staatschefs dieser Welt Veränderungen bewirken. Unmöglich und angesichts der hohen Kosten für dieses Treffen unnötig, sagen Kritiker des G7-Gipfels. Das zweitägige Treffen fand in diesem Jahr auf Schloß Elmau in Garmisch-Partenkirchen statt.

Der Leittitel des  G7-Gipfels war „An morgen denken. Gemeinsam handeln.“ Genau hierin liegt der Ansatzpunkt für Kritiker: Wirkliche Handlungen, ein wirkliches Umdenken findet nach den Gipfeln selten statt, monieren sie. Ebenso sei es ein geheimes und ineffizientesTreffen. Auch Globalisierungsgegner waren unter den Protestanten.

Internationaler Konflikt: Russland von dem wichtigen Treffen ausgeschlossen

An dem Treffen sind die sieben wichtigsten Industrienationen beteiligt: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA. Jahrzehntelang war es ein G8-Gipfel – Russland wurde allerdings im vergangenen Jahr aufgrund seiner Politik von weiteren Treffen ausgeschlossen.

210 Millionen Euro kostet der Gipfel laut Innenministerium, die größtenteils vom Freistaat Bayern (130 Millionen Euro), aber auch vom Bund (80 Millionen Euro) getragen werden. Der Bund der Steuerzahler hingegen rechnete 360 Millionen Euro vor. 24 000 Polizisten, 17 Kilometer lange Absperrungen: Der riesige Aufwand steht im totalen Kontrast zu dem ländlichen Veranstaltungsort. Die Gipfel-Befürworter entgegnen, dass auch das riesige mediale Interesse an dem Treffen für Kosten sorgt: Arbeitsbereiche für 3 000 Journalisten mussten geschaffen werden.

Viele Themenbereiche wurden von den Teilnehmern besprochen. Dabei handelt es sich um vier hauptsächliche Bereiche.

Wirtschaft: TTIP bis Jahresende unter Dach und Fach

Auf dem Gipfel wurde unter den Teilnehmern deutlich, dass das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP abgeschlossen werden soll. Die Verhandlungen stocken, auf Seiten der EU – vor allem in Deutschland – gibt es Vorbehalte gegen bestimmte Vertragsinhalte, wie beispielsweise die nicht-öffentlichen Schiedsgerichte. Die G7-Teilnehmer wollen die Verhandlungen beschleunigen.

Terror: Der gemeinsame Gegner IS soll bekämpft werden

Der Terrorbewegung Islamischer Staat soll vehementer entgegen gewirkt werden. „Wir stehen Seite an Seite mit allen Ländern und Regionen, die unter den brutalen terroristischen Handlungen zu leiden haben“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Auch dass Konten von mutmaßlichen Terorristen international eingefroren werden, soll verpflichtend und für die Länder vereinfacht werden.

Umwelt: G7-Staaten bekennen sich zum Zwei-Grad-Ziel

Die internationalen Klima-Experten möchten bis zum Jahr 2100 den erwarteteten Temperaturenanstieg auf zwei Grad begrenzen. Um das sogenannte „Zwei-Grad-Ziel“ zu erreichen, wollen die G7-Vertreter aus der Energiegewinnung durch Gas, Kohle und Öl aussteigen.

Bis 2050 sollen die Treibhaus-Gase um 40 bis 70 Prozent zurückgehen. In einem Kommentar lobt Clemens Verenkotte vom Bayrischen Rundfunk die Ergebnisse als Meilenstein: „Wenige Monate vor der wichtigen UN-Klimakonferenz in Paris ist es vor allem US-Präsident Barack Obama, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel gelungen, (…) die gesamte G7-Gruppe auf diese Ziele zu verpflichten.“

Gesundheit: Angst vor Epidemien

Der Kampf gegen Krankheiten solle international koordiniert werden, sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ebola-Epidemie an.  „Wir sind fest entschlossen, die Ebola-Fallzahlen auf null zu reduzieren“, heißt es in der Erklärung. Dafür müsse auch das Gesundheitssystem in vielen Ländern verbessert werden, betonte Merkel.

Die Gemeinde Krün, in der der Gipfel stattfand, profitiert in jedem Fall: Infrastrukturelle Verbesserungen der Gegend bleiben der Gemeinde erhalten. Vor dem G7-Gipfel gab es Proteste und Kritik aufgrund der hohen Kosten. Dass nach dem Treffen aber hauptsächlich über dessen Ergebnisse gesprochen wurde, spricht für die Effizienz des Zusammenkommens.

Ob der Gipfel die Welt wirklich ein Stück weit verbessert, oder es – wie die Kritiker vorhersagten – nur heiße Luft war, liegt an den Regierungschefs. Diese müssen die Absprachen konsequent umsetzen. In manchen Belangen, wie dem Erreichen des Zwei-Grad-Ziels, haben sie durch die konkrete gemeinsame Festlegung von Zielen keine andere Möglichkeit, als sich diesen zu stellen.

AfD in der Sinnkrise: Wohin des Weges?

Die Alternative für Deutschland ist eine rechte Partei! Diesem Vorwurf sah sich Parteigründer Bernd Lucke zeitweise in fast jeder Talkshow ausgesetzt. Lucke war nicht nur im Wahlkampf oft bei Jauch, Maischberger oder Plaßberg zu Gast. Wirklich fair ging es da nicht zu, der 52-Jährige scheiterte mit seinen Anti-Rechts-Argumentern an wütenden Fragen oder wütenden Show-Gästen.

Eigentlich waren diese Vorwurfe nicht gerecht. Eigentlich. Lucke ist seine Partei entglitten. Einst war die AfD angetreten, um Eurokritikern eine Protest-Wahlmöglichkeit zu bieten. Das gelang gut bis erfolgreich: Zur Bundestagswahl scheiterte die Partei mit 4,7 Prozent knapp an der 5-Prozent-Hürde, zur Europawahl im vergangenen Jahr erreichte sie über sieben Prozent.

Schicksal des Wachstums: AfD erhält rechten Zuwachs

Eine Basis, auf der sich hinsichtlich der Bundestagswahl 2017 aufbauen ließe. Nun tritt aber ein Streit in der AfD-Führung zu Tage, der schon länger intern schwelt. Lucke versuchte ursprünglich, die Menschen als Wähler zu gewinnen, die den Euro mitsamt seinen Krisen satt haben. Dafür stand er als Professor der Makroökonomie kompetent ein. Auch wenn er im Laufe der Zeit mit zweifelhaften Aussagen zu Flüchtlingen versuchte, sich für den Parteierfolg weiter rechts zu positionieren: Mit den Rechten in der AfD möchte Lucke nicht arbeiten.

Diesem Wunsch verleiht er nun starken Ausdruck. Im Juni soll in einem Parteitag aus der Dreierspitze der Partei eine Doppelspitze gewählt werden. Derzeit hat es der autoritäre Lucke mit dem offiziell gleichgestellten Konrad Adam und Frauke Petry zu tun. Vor allem Petry drängt die AfD auf die rechte Seite und ist auch in der derzeitigen Auseinandersetzung Luckes härteste Kontrahentin.

Lucke startet „Weckruf“: Projekt soll Partei vom rechten Rand wegholen

Um den Druck zu erhöhen, hat Lucke das Projekt „Weckruf“ gestartet. Das Ziel, so teilte es Lucke den AfD-Politikern mit, richte sich gegen „Karrieristen, Intriganten und Vertreter der Neuen Rechten.“ Auch eine Drohung steckt in der Ankündigung für die Mitglieder: „Wir sehen für uns keine Zukunft in der AfD, wenn die Partei nicht entschieden denjenigen Einhalt gebietet, die(…) an den politischen Rändern unserer Gesellschaft hausieren gehen.“

Wie heftig die Auseinandersetzung von Lucke und Petry ist, zeigen die Umstände, unter denen Lucke seine Ankündigung zum „Weckruf“ verbreiten musste. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits nicht mehr befugt, auf das parteiinterne Mailsystem zuzugreifen. Erreicht hat die Mail die Mitglieder dennoch.

In ihr enthalten: Eine klare Drohung. Ebenso enthalten: Eine Einladung zum Schein. Lucke lädt Petry ein, „Weckruf“ beizutreten. Diese hat das bereits öffentlich abgelehnt und betont, es gebe keine Notwendigkeit, die Partei neu zu orientieren. Über 2000 Parteimitglieder, zehn Prozent aller Mitglieder, seien „Weckruf“ aber bereits beigetreten, berichtet der Spiegel.

Projekt „Weckruf“ könnte Partei in die Bedeutungslosigkeit stürzen

So wird das Projekt „Weckruf“ bis zum Parteitag Mitte Juni möglicherweise weiter wachsen. Die Frage ist, ob die Politiker dahinter bis dahin mit der Drohung des Parteiaustritts mächtig genug sind, die AfD zur Neustrukturierung zu zwingen. Kommt Petry hingegen in die Doppelspitze der Partei, scheint ein Austritt Luckes und seinen Vertrauten sowie die Gründung einer neuen Partei – ohne Mitglieder mit rechtem Gedankengut – nicht unrealistisch.

Das würde die AfD entscheidend schwächen. Ohne führende Politiker mit fachlichen Kompetenzen, was die Euro-Frage angeht, sowie  einer Partei mit allzu rechter Orientierung, wäre die Fünf-Prozent-Hürde nicht zu überwinden. Lucke hingegen würden in einer reinen Anti-Euro-Partei für bedeutsame Wahlerfolge genau jene rechten Wähler fehlen, gegen die er gerade agiert.

 

9. Mai in Berlin: Von Selfies und Nazis

„Ich will auch so eine Russland-Fahne“, sagt ein kleiner deutscher Junge zu seiner Mutter im Treptower Park in Berlin. Er hat den Sinn des 9. Mai nicht verstanden – wie auch. Die Menschenmassen, die sich an diesem Tag durch Berlin bewegen, sind sich ja selbst nicht einig. Antifaschisten und Rechte demonstrieren an diesem Tag an vielen Plätzen.

Am 8. Mai 1945 trat die Kapitulation in Kraft, welche die Wehrmacht zuvor unterschrieben hatte. In Russland wird der 9. Mai als „Tag des Sieges“ angesehen, weil aufgrund der Zeitverschiebung die Aufgabe der Wehrmacht in Moskau erst am Folgetag galt. Es gibt viel Geschichtliches zu diesem Ereignis zu wissen – das ist aber an anderer Stelle zu lesen.

Diesen 70. Jahrestag möchte ich nutzen, um die Stimmung und die Gruppierungen zu beobachten. Ich schwinge mich auf´s Fahrrad und möchte einen Tag lang an den wichtigen Plätzen sein, spreche mit vielen Menschen. Am Ende des Tages habe ich einen gewichtigen Eindruck des 9. Mai 2015 bekommen – und viele Geschichten. Entstanden ist deshalb eine Reportage, die sich nicht unbedingt auf harte Fakten, dafür auf viele Impressionen stützt.

Treptower Park: Tausende Bürger, Politiker und die Nachtwölfe

Der Treptower Park ist an diesem Tag ein wichtiger Anlaufpunkt. Hier, in Treptow, sind viele sowjetische Soldaten begraben. Um elf Uhr ist der Park am Vormittag bereits voll von Menschen. Viele in Berlin lebende Russen gedenken hier mit Blumen den gefallenen Russen des Zweiten Weltkriegs. Davon machen Viele  Erinnerungsfotos, die Symbolträchtigkeit des Augenblicks scheint ihnen wichtig.

Trauermarsch im Treptower Park
Trauermarsch im Treptower Park

Während des Trauermarschs sind aus der Menge immer wieder vereinzelte Worte zu hören, denen ein gemeinsam gerufenes „Hurra“ folgt. Darunter seien Rufe für Russland, gegen Faschismus und für das Gedenken an die gefallenen Russen, erklärt mir eine Russin, die mitläuft. Überall im Park zücken die Menschen ihre Smartphones, um Fotos oder auch Selfies vor einem Mahnmal zu machen.

Eine russische Frau mittleren Alters schließt sich kurz vor dem Ende des Trauermarschs den Laufenden an. Ihre Tochter müht sich, eilt mit der Handykamera durch die Menschenmassen nebenher. „Nur ein Foto“, ruft die Mutter ihr zu – die Tochter filmt den kurzen Marsch ihrer Mutter allerdings. Offensichtlich wird auch hier, wie wichtig ihnen die Symbolik des Mitlaufens, des Mitgedenkens ist.

Neben dem Treptower Park feiern die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Jubiläum. Seit zehn Jahren organisieren sie auf einem großen Platz zum 9. Mai ein Fest. In diesem Jahr ist das Fest wegen dem Jubiläum und dem 70. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkriegs besonders groß.

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Jutta Harnisch leitet die Berliner Geschäftsstelle des Vereins

„Für die Verfolgten, die im KZ überlebt haben, hat dieser Tag eine ganz große Bedeutung“, sagt mir Jutta Harnisch. Sie ist stolz darauf, dass ihr Verein in diesem Jahr zum zehnten Mal das Fest organisiert. Auf die Demonstrationen von Rechten an diesem Feiertag angesprochen, sagt sie: „Unsere jungen Mitglieder machen eine Gegendemo.“ Über die App „Berlin gegen Nazis“ seien sie immer über rechte Demos informiert. „Die Rechten beunruhigen mich trotzdem“, gibt Harnisch zu.

„Ein schönes Fest“, findet eine deutsche Besucherin. Auch wegen der Musik, auch wegen des guten Essens, aber vor allem wegen „vieler politischer Gründe“ komme sie gerne zum 9. Mai auf den Festplatz. Junge Antifa-Gruppen organsieren hier das „schöne Miteinander“, das auch Harnisch so gut findet.

Ihr Verein widme sich vor allem drei Punkten: „Dem Kampf gegen den modernen Nazismus und Populismus sowie Gedenk- und Flüchtlingsarbeit.“ Das ist aus ihrer Sicht auch nötig, denn: „Die Rechten werden einen Aufschub bekommen, das ist ganz klar.“ Dafür stünden auch Pegida und die AfD, die bei Landtagswahlen „aus dem Stand heraus über fünf und zehn Prozent“ geholt habe.

Feier der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und des Bundes der Antischfastinnen und Antifaschisten
Dank an die Befreier aus dem Naziregime

„Ich verneige mich vor den Befreiern der Konzentrationslager, Berlins und Europas“, ruft bei dem Fest ein Mann den mehrheitlich anwesenden Russen unter den Besuchern zu – die Frau neben ihm übersetzt ins Russische. In dem Moment ist lautes Motorengetöse zu hören. Die Nachtwölfe?

Motorengeheul´ unter Applaus
Motorengeheul´ unter Applaus

Unter dem Jubel der Menge ziehen sie aus – Richtung Bundestag, Richtung Hauptbahnhof zu einer Kundgebung von Rechten Gruppen. Dort werden sie wegen Polizeisperren aber nicht angekommen. Ob Antifaschisten, Faschisten, Alternative – auf jeder Kundgebung ist der Unmut zu hören, die Polizei solle doch die Menschen zu den Demonstrationen durch lassen.

Auf meinem Weg zu anderen wichtigen Orten, geplanten Kundgebungen vor dem Kanzleramt sowie vor dem Hauptbahnhof, drückt ein ganz in schwarz gekleideter Mensch seinen Unmut aus: „Mann, seid ihr eklig. Ihr kommt alle aus euren Dreckslöchern, das ist aber unser Gebiet hier!“, ruft er den Russen mit ihren Blumen zu. Eine Einstimmung auf das, was mich am Hauptbahnhof erwartet?

Hauptbahnhof: Treffpunkt für Patrioten, Rechte und Nazis

Vor dem Berliner Hauptbahnhof versammeln sich viele Gruppierungen, vereint in der Kritik an der Bundesregierung und der Aufnahme von Flüchtlingen. Rund 350 Demonstranten versammeln sich – angesichts der angekündigten 1000 eine äußerst geringe Anzahl. „Würden die Züge nicht ausfallen, wären Tausende mehr gekommen“, meint Einer genervt.

Das Restaurant direkt neben der Kundgebung gerät aufgrund von Absperrungen zum einzigen Anlaufpunkt für Toilettengänge. „Nazis lassen wir hier nicht rein“, meint die Bedienung vor der Veranstaltung. Als vor ihr ein breit gebauter Mann mit Glatze und einem schwarzen T-Shirt mit dem Aufdruck „Nahkampf. Vollkontakt. Kategorie C.“ steht, lässt sie ihn doch passieren.

Bevor es losgeht, rede ich mit Jürgen Elsässer. Der Chefredakteur des politischen Magazins Compact soll heute vor den Demonstranten reden. Der 58-Jährige ist dieser Tage ein umstrittener Redner, mit seinen Positionen links wie rechts vertreten. Auf die Frage, was der 9. Mai für ihn persönlich bedeute, sagt er aktuellinfo: „Das ist ein Feiertag, an dem die Länder zusammenkommen und auch Deutsche und Russen zusammenkommen, im Sinne eines Europa der Vaterländer und des Friedens.“ Diese Zusammenkunft sei ihm wichtig.

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Jürgen Elsässer ist ein politischer Aktivist

Um 15 Uhr soll es losgehen mit seiner Rede. Um Punkt 15 Uhr fängt es an zu regnen. Die Nationalsozialisten weichen vom Vorplatz des Hauptbahnhofs vor den Eingang, wo ein Dach vor dem Regen schützt. Dort machen sie sich über „die linken Zecken“ lustig, die auf der anderen Seiten der Spree im Regen stehen. Diese versuchen von dort aus die Reden vor dem Hauptbahnhof mit Trillerpfeifen zu stören.

Auf der einen Seite der Spree: Antifaschisten
Auf der einen Seite der Spree: Antifaschisten

Aus der Menge vor der Bühne schreit jemand die Nazis vom Vordach zurück – es geht los. „Mein Name ist Jürgen Elsässer – und meine Zielgruppe ist das Volk“, beginnt der Journalist seine Rede. Applaus der Menge. „Mein Ziel ist eine Volksfront“, sagt er. Darin solle der Querschnitt der Bevölkerung, Menschen verschiedenen Alters und aus allen politischen Richtungen vertreten sein: „Alle vereint für die nationale Souveränität Deutschlands, für unsere Traditionen und den Frieden.“

Das sei „keine Sache von links oder rechts, sondern eine Sache der Vernunft, des Patriotismus in Zeiten der entfesselten Globalisierung.“ Damit holt Elsässer diejenigen Zuhörer ab, die sich selbst als „konservativ“ oder „patriotisch“ bezeichnen. Vielmehr scheint aber der Patriotismus ein Deckmantel für Menschen mit rechtem Gedankengut zu sein.

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Eine Frau schiebt einen Gehwagen vor sich her. Darauf ein handbeschriebenes Schild: „Vielleicht kommt irgendwann mal wieder die Zeit, in der man Patriot sein darf, ohne als Nörgler zu gelten.“ Später steht sie mit ihrem Wägelchen bei den Nazis. Auch für die hat Elsässer Worte parat. „Wir werden nicht zusehen, wie Flinten-Uschi unsere Söhne und Töchter wieder zum Sterben nach Stalingrad schickt. Dieses Mal (…) für die Profite der amerikanischen Gen- und Erdölindustrie.“

Besonders „abscheulich und heuchlerisch“ finde er in diesen Tagen „unseren Bundespräser, Herrn Gauck“. Bevor Elsässer begründen kann, warum, rufen die Leute „Volksverräter, Volksverräter!“ Der Redner hat seine Zuhörer schnell emotionalisiert. Elsässer weiter: „Dieser Gauck, der heuchlerisch von einem sowjetischen Soldatenfriedhof zum anderen pilgert, aber gleichzeitig zum aktuellen Krieg gegen Russland hetzt.“

Nach dem Regen folgt nun die zweite Störung. Linke haben es vor den Bahnhofseingang geschafft. Sie rufen freudig: „Ihr habt´ den Krieg verlor´n, ihr habt den Krieg verlor´n, ihr habt, ihr habt den Krieg verlor´n!“ Sie selbst sehen sich durch den 9. Mai als befreit vom Nationalsozialismus an – die Rechten als Verlierer des Kriegs. Schnell kommen die Nationalisten, nur wenige Meter und viele Polizisten trennen die beiden Gruppen.

Singen lautstark unter dem Bahnhofsvordach
Antifaschisten singen lautstark unter dem Bahnhofsvordach

Aus der Menge der Nationalsozialisten fliegt eine Bierflasche in Richtung der Gegner. Sie rufen: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“, und lassen folgen: „Antifa, Hurensöhne.“ Jürgen Elsässer redet derweil erfolglos gegen die Auseinandersetzung an. Jetzt hat er seine Zuhörer verloren.

"Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen"
„Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“

Eine dritte Demonstration hat weitaus weniger Besucher. Etwa 30 Menschen sitzen vor einer kleinen Bühne, auf der ein Sänger seine Lieder gegen Krieg und Faschismus darbietet. Der Rap-Beat ist locker, geht gut ins Ohr. Die Message: „Es kam nicht von allein´, man ließ es gut gedeih´n!“ Eine Anspielung auf Lobbyisten, die den Krieg – unter anderem monetär – unterstützten.

Demo gegen Faschismus
Demo gegen Faschismus

Am Ende des Tages stelle ich mein Fahrrad ab. Es bleiben mir viele Eindrücke – nebenbei auch ein Video der Berliner Zeitung, das mich beim Fotografieren der Auseinandersetzung zwischen den Linken und Rechten zeigt (vorne an der Absperrung). Das Video stellt die verbalen Streitigkeiten der beiden Gruppen gut dar.

Genau das ist es auch, was ich erlebt habe. Der 9. Mai 2015 in Berlin war ein Tag des Gedenkens – aber auch ein Tag von Links und Rechts, in dem es nicht um die Befreiung Deutschlands, sondern viel um TTIP, Merkel und die NSA ging.

 


Galerie zum Gedenken und den Demonstrationen am 9. Mai in Berlin
Einfach auf ein Bild klicken, dann erscheint die Galerie

Zwei Jahre NSA-Enthüllungen für Nichts?

Sieht man das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland als Verhältnis zwischen zwei Freunden, so mag man gar nicht glauben, dass die Freundschaft weiterhin besteht. Anders formuliert: Wie kann man einem Freund trauen, der einen hintergeht, dann nicht Rede und Antwort steht, um schließlich weiter zu hintergehen.

Das Ausmaß des Skandals ist eigentlich groß. Die National Security Agency (NSA) holt sich seit Jahren mit Überwachungsmethoden Telefon- und Internetdaten ein. In ihrer Kritik und Schlussfolgerung hält sich die Bundesregierung aber zurück. Auch als die deutsche Regierung in persona Angela Merkel durch das Ausspähen ihres Handys persönlich angegriffen wurde, beließ es die Kanzlerin bei der Aussage: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“

Spionage-Ziele: Von Bürgern über Unternehmen, bis hin zu Regierungen

Die NSA hat sich sehr intensiv um ihr Aufgabengebiet, den Geheimdienst im Ausland, gekümmert. Daten von verbündeten und nicht verbündeten Ländern, einzelne Politiker, Kommissionen, Unternehmen, Bürger – der amerikanische Geheimdienst hat in großem Stil spioniert. Dieser Skandal wäre ohne einen ehemaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes nicht an die Öffentlichkeit gelangt.

Für die Einen ist Edward Snowden ein Held, für die anderen ein Verräter. Der Amerikaner hat im Sommer vor zwei Jahren über großes Unrecht berichtet – gleichzeitig aber Dienstgeheimnisse seines Arbeitgebers verraten. Letzteres wirft ihm der amerikanische Staat vor, Snowden ist wegen Spionage angeklagt.

Snowden führt ein Leben im Verborgenen – der große Dank bleibt aber aus

Wenn man die weltweite Resonanz auf seine Enthüllungen beobachtet, stellt sich die Frage: Hat es sich gelohnt? Snowden führt ein Leben auf der Flucht, lebt mittlerweile in Russland. Eine Rückkehr in sein Heimatland ist vorerst nicht denkbar, schon gar nicht straffrei. Nach einer großen Welle der Empörung ebbte die Wut auf die NSA über die Zeit ab.

Dabei hätten die Ausspionierten allen Grund zur Verärgerung. Die NSA argumentiert mit der Terrorgefahr – gerät aber angesichts der Spionage von Unternehmen in Erklärungsnot. Antworten erhielt die Bundesregierung damals von keinem führenden Regierungspolitiker der USA. Auch dann nicht, als Kanzleramtsminister Peter Altmaier im Auftrag des Bundestags persönlich einreiste. Aus dem Weißen Haus war lediglich zu hören, dass die Kommunikation der Bundeskanzlerin nicht abgehört werde – zur Vergangenheit kein Kommentar.

NSA-Ausschuss: Sollte aufklären, wird aber ebenfalls ausspioniert

Im März 2014 gründete die Bundesregierung den NSA-Ausschuss. Dieser sollte die Lage aufklären – im Juli wurde bekannt, dass die USA einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) damit beauftragten, Informationen über den NSA-Ausschuss einzuholen. Ein weiterer und sehr harter Affront, der dem deutsch-amerikanischen Verhältnis aber keinen Abbruch tat.

Im Zuge eines neuerlichen Skandals um die NSA-Affäre blieb Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenfalls zurückhaltend. So wurde nun bekannt, dass die NSA auch nach Aufkommen der Snowden-Enthüllungen im Sommer 2013 noch monatelang Spionage betrieben hat. Der BND wurde von der NSA missbraucht, indem Suchbegriffe untergeschoben wurden.

BND und NSA: Spionierte der deutsche Geheimdienst im Auftrag der USA?

So hat der BND quasi im Auftrag der NSA unter deutschen und europäischen Unternehmen und Institutionen spioniert. Dabei soll es sich um etwa 40 000 solcher Suchbegriffe gehandelt haben. „Der Verrat“, titelte der Spiegel dazu in seiner aktuellen Ausgabe und konstatiert im Untertitel: „BND und Bundesregierung gegen deutsche Interessen.“

Viele Fragen sind derzeit offen. Wie konnte es der NSA gelingen, dass der BND in amerikanischem Interesse ausspionierte? Handelte der BND freiwillig in Kooperation mit den Amerikanern? Was wusste die deutsche Regierung? Wie gut oder schlecht Deutschland im NSA-Skandal dasteht, wird auch davon abhängen, wie die Aufklärung von nun an betrieben wird.

 

 

 

 

 

 

 

Deutschland auf Konfrontation mit der Türkei

Die gewichtigen Worte fielen bei einem Gedenkgottesdienst anlässlich des 100. Jahrestags der Deportation von Armeniern. Bundespräsident Joachim Gauck sprach Vielen aus der Seele, fürchtete keine politischen Folgen. Der 75-Jährige nannte die Vertreibung und Hinrichtung von Armeniern im osmanischen Reich „Völkermord“. Am vergangenen Freitag beschloss der deutsche Bundestag ebenfalls, die Taten fortan als Völkermord zu bezeichnen.

Das Echo aus der Türkei, unter anderem vom türkischen Außenministerium, ist heftig. Dieses teilte mit, Gauck habe „kein Recht, die türkische Nation eines Verbrechens zu beschuldigen, das sie nicht begangen hat“ und betonte, das türkische Volk werde die Äußerungen „nicht vergessen und nicht vergeben.“ Gauck erwähnte in seiner Rede auch die deutsche Schuld.

Die nach dem Zusammenbruch des osmanischen Reichs entstandene Türkei lehnt die Bezeichnung Völkermord strikt ab. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte Deutschland, Frankreich und Russland, nach dem diese die Taten als „Völkermord“ bezeichneten. Demnach würden sie „Behauptungen aufstellen, die auf armenischen Lügen basieren.“ Erdogan bezeichnete die Taten als „traurige Ereignisse“, nicht aber als Völkermord.

Glaubenskonflikt vor dem 1. Weltkrieg: Armenier im osmanischen Reich unerwünscht

Die Armenier lebten vor dem ersten Weltkrieg in Persien, im osmanischen und russischen Reich. Im osmanischen Reich gab es schon länger gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Armeniern. Die muslimischen Osmanen verlangten von den christlichen Armeniern hohe Steuern, was deren Wunsch nach Eigenständigkeit voran trieb.

Dieser Wunsch wurde im ersten Weltkrieg zum Problem. Auf Angriffe des osmanischen Reichs gab es einen Gegenzug des russischen Reichs. Bei diesem Gegenzug schlossen sich manche Armenier der russischen Armee an. Sie hofften darauf, nach dem Krieg unabhängig zu sein.

Osmanische Führung beschloss Tötung aller Armenier

Die osmanische Führung wertete das als Sabotage und bekämpfte fortan alle Armenier. Die Armenier, die für die Osmanen kämpften, wurden ebenso entwaffnet und hingerichtet, wie Frauen und Kinder. Ein Deportationsgesetz befahl es den Zuständigen in der osmanischen Armee, gegen die Armenier vorzugehen. Diese wurden zunächst entwaffnet, gefangen genommen und dann hingerichtet oder auf Todesmärsche geschickt.

Das Ziel der Märsche war, zumindest inoffiziell, eindeutig: Die Vernichtung der Armenier. Die Märsche sollten nicht in einer Wiederansiedlung, sondern mit dem Tod enden. Es gab dabei Gouverneure, die sich weigerten, den Befehl durchzusetzen. Allerdings wurden diese abgesetzt und anschließend hingerichtet. Deutschland wusste von den Taten und Zielen, wollte aber die „Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite haben“, wie Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg Ende 1915 schrieb.

Streitpunkte: Begriff „Völkermord“ und Anzahl der Opfer

Sowohl in der Bezeichnung der Taten als Völkermord und in der Anzahl der Opfer gehen die Darstellungen der Türkei und anderer Ländern auseinander. Nach armenischen Angaben und der Ansicht vieler Experten liegt die Zahl der Opfer bei 1,5 Millionen Menschen. Die Türkei nennt 300.000 Opfer.

Wer die Taten im osmanischen Reich und damit auf dem Gebiet der heutigen Türkei als Völkermord bezeichnet, wird von Seiten der türkischen Regierung scharf kritisiert. Doch was wird offiziell als Vökermord bezeichnet? Die UN versteht darunter „Absichten, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören.“

Bislang mied Deutschland die Bezeichnung Völkermord, was sich mit dem Beschluss des Bundestags am vergangenen Freitag nun ändert. Papst Franziskus benannte die Taten anlässlich des Gedenktages als Völkermord. Ebenso verwenden unter anderem Russland, Italien und Frankreich den Begriff. Die USA, Israel und bislang auch Deutschland vermieden die Bezeichnung.

Weiteres Streitpotential: EU fordert Türkei zur Richtigstellung auf

Im deutschen Bundestag lobte Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen, Gauck für dessen „klare Worte“, kritisierte aber zugleich Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Wäre es nach Ihnen gegangen, würden wir bis heute das türkische Narrativ wiederholen, dass es den Völkermord nicht gab.“

In dem Thema liegt weiteres Konfliktpotential. Das europäische Parlament fordert von der Türkei die Bezeichnung der Taten als Völkermord. Der türkische Präsident Erdogan lehnte das ab und kommentierte, die Aufforderung gehe „bei uns zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus“.

 

 

Ein Treffen wie ein Meilenstein

Selten spürt man bereits in der Gegenwart eine historische Bedeutung. Als sich US-Präsident Barack Obama und der kubanische Präsident Rául Castro am Rande des Amerika-Gipfels in Panama aber zu einem Gespräch trafen, war das der Fall. Obama selbst bezeichnete das 80-minütige Gespräch der beiden Staatsoberhäupter als „historisches Treffen“.

Um die Größe der Situation begreifen zu können, muss man auf die Geschichte von Kuba und den USA zurück blicken. Das letzte Treffen zwischen eines kubanischen und amerikanischen Regierungschefs liegt 59 Jahre zurück. Seitdem belasteten Embargos, Verhaftungen und Kriegsandrohungen das Verhältnis.

Kubanische Revolutionäre von den USA nicht als Regierung anerkannt

Angefangen hat der Streit mit dem Sturz der kubanischen Diktatur 1959. Die Revolutionäre Fidel Castro und Che Guevara sowie der heutige Präsident Rául Castro führten den Sturz an. Als Fidel Castro sich als neuer Anführer des Landes sieht und für ein Treffen in die USA reist, lehnt der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower einen Empfang ab.

che-guevara-62918_1280 (Medium)Symbol der Revolution: Che Guevara

Nachdem die Kubaner amerikanisches Eigentum und Land enteignen, reagieren die Vereinigten Staaten und verhängen ein Teilembargo, beendeten später jegliche Handelsbeziehungen. 1961 versuchen die Amerikaner, durch kubanische Söldner die Castro-Brüder und Che Guevara zum Sturz bringen. Der Plan misslingt und hat für die USA schwere Folgen: Kuba verstärkt die Beziehungen zur Sowjetunion.

Die Welt stand kurz vor einem Atomkrieg

Ein Jahr darauf erreicht die Kuba-Krise ihren Höhepunkt. 15 Tage lang herrscht eine Ausnahmesituation: Die Sowjetunion stationierte Raketen auf Kuba, die USA ihrerseits in der Türkei. Der damalige US-Präsident John F. Kennedy drohte, die USA werde auf einen Angriff gegebenfalls mit Atomwaffen reagieren. Nach langen Verhandlungen und einer Seeblockade der USA einigen sich Kennedy und der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow darauf, die Raketen jeweils abzuziehen.

Über die Jahrzehnte wechselten die Amtsinhaber auf Seiten der USA – die gegenseitige Ablehnung blieb. Viele Kubaner folgten dem Lockruf der Amerikaner und reisten aus Kuba aus. Die USA verschärften je nach Lage das Handelsembargo. Erst die Jahrtausend-Wende brachte wieder eine Annäherung. Erstmals gab es von amerikanischen Firmen wieder Lieferungen nach Kuba – zunächst aber nur in Form von humanitärer Hilfe.

Trotz Gespräch: Beide Obama und Castro sehen große Differenzen

Nachdem Obama 2009 dann Reisebeschränkungen für Kubaner aufhob, folgten Gespräche zwischen den Regierungen. Fünf Jahre später beschlossen Obama und Raúl Castro, dass die Botschaften in dem jeweils anderen Land wieder eröffnet werden sollten. Die USA schwächten das Embargo ab, die Kubaner lassen im Gegenzug politische Gefangene frei. Kleine Schritte, die nun zu „historischen Treffen“ führten.

Das Gespräch der beiden Staatsoberhäupter offenbarte: Es gibt große Differenzen – nur der Umgang damit soll künftig harmonischer sein. So befand Obama nach dem Austausch: „Wir konnten uns ehrlich über unsere Meinungsverschiedenheiten und Bedenken unterhalten.“ Wichtig sei dabei der gegenseitige Respekt, betonte Castro.

Obama betonte, man werde nicht aufhören, „über Themen wie Demokratie, Menschenrechte sowie die Versammlungs- und Pressefreiheit zu sprechen.“ Der Pressesprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, sagt voraus: „Wir werden weiter Meinungsverschiedenheiten mit Kuba haben.“ Beide Seiten wissen darum.

Kuba leidet „entsetzlich“  unter dem Handelsembargo

Für Kuba wäre ein Wegfall der Handelsbeschränkungen wirtschaftlich enorm wichtig. Die Folgen des Embargos seien für Kuba „entsetzlicher, als sich jeder vorstellen kann“, sagte Castro. Das ist einer der Gründe, warum eine weitere Annäherung forciert wird. Das wird Zeit brauchen, so schätzt der kubanische Präsident:  „Wir müssen geduldig sein, sehr geduldig.“

Den aktuellen US-Präsidenten nahm Castro  von der bisherigen Geschichte aus: „Präsident Obama hat damit nichts zu tun. Er ist ein ehrlicher Mann.“ Ein Satz, bei dem Ráuls großer Bruder vermutlich vom Stuhl gekippt wäre, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Aber genau diese Ansicht Rául Castros ermöglicht erst neue Gespräche und in Zukunft eventuell ein unbeschwertes Miteinander.

Kuba fordert: Keine Sanktionen mehr

Aus dem Treffen sollen nach dem Willen Kubas vor allem zwei Handlungen folgen: Die Streichung von der amerikanischen Liste als „Terror-Land“ sowie die Beendigung der Sanktionen. Für Ersteres wird sich die USA wohl entscheiden – die Streichung der Sanktionen aber kann Obama aufgrund seiner verlorenen Mehrheit im Kongress mit den Demokraten nicht alleine entscheiden.

 

 Weiterführende Quellen:

Die Zeit berichtet Hintergründe zur Streichung Kubas von der Terror-Liste:

http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-04/usa-kuba-beziehung-castro-obama-terrorliste

Bereits ein Händedruck zwischen Obama und Castro Ende 2013 war als „Novum“ bezeichnet worden, wie der Spiegel berichtet:

http://www.spiegel.de/politik/ausland/mandela-trauerfeier-aufregung-um-handschlag-von-obama-und-castro-a-938340.html

Die Deutsche Wirtschaftsnachrichten gehen auf die emotionale Rede Castros ein, in der er die USA kritisiert:

http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/04/11/kuba-schonungslose-abrechnung-castros-mit-der-us-politik/