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Skandalöse Berichte um Flugzeugabsturz

„Risiko Mensch“, „Die Angst fliegt mit“, „Absturz schockiert Deutschland“: Den Machern der Überschriften war schnell klar, dass es sich beim Absturz des Airbus in den französischen Alpen am vergangenen Dienstag um eine große Geschichte handelt. Einen Tag später fährt die Süddeutsche Zeitung alle Geschütze auf: Titelgeschichte auf Seite eins, Thema des Tages auf Seite zwei, Reportage auf der Seite Drei, Kommentar auf der vierten Seite.  

Einer großen deutschen Tageszeitung kann man diese vielfältige Berichterstattung nicht vorwerfen. Wie aber über das Thema berichtet wird, muss Leser in diesen Tagen schockieren. Während sich die SZ bei den vielen Artikeln seriös hält, sorgen dafür Medienkollegen mit boulevardesken Artikeln für Aufsehen. Eine Entschuldigung darf es dabei nicht geben. Weder die Bild als Boulevard-Medium, noch die Emma als Blatt mit einer speziellen Zielgruppe dürfen sich Aspekten der Menschlichkeit das leisten, was sie in den vergangenen Tagen publiziert haben.

Bild-Kommentar: Schein-Intellektuelles Geschreibe fehl am Platz

Seit 2001 schreibt Franz Josef Wagner für die Bild Kolumnen. Mit „Post von Wagner“ erreicht der 71-Jährige knapp zwölf Millionen Menschen in Deutschland. In seiner Anrede wendet er sich meist einem Protagonisten zu, der gerade im medialen Zentrum steht. Die Bild feiert ihn selbst als „berühmtesten Briefeschreiber Deutschlands“. Ob seine Kolumnen zur Weltklasse des Journalismus gehören oder billiges Geschreibe sind, ist unter Medienexperten strittig.

Wohin seine Kolumne gehört, die er den Opfern des Flugzeugabsturzes gewidmet hat, ist hingegen unstrittig. Darin stellt Wagner zunächst die Situation in der Ankunftshalle des Flughafens dar, um dann völlig ziellos weiter zu sinnieren: „Knabberten die Passagiere Nüsse, tranken sie Cola, guckten sie in die Sonne durch das Kabinenfenster? Nervten die Babys, die quengelten?“ Vor seinem traditionellen Schlusszeilen „Herzlichst, Ihr Franz-Josef Wagner“ verwirrt der Autor dann noch einmal: „Nette Stewardessen…“ schreibt er.

Wagner möchte schweigen – und schreibt doch zwei Mal

Und: „Es ist so furchtbar. Ich will kein Wort mehr darüber schreiben.“ Eine verlogene Aussage – schließlich konnte Wagner sich den geschmacklosen Kommentar sowie einen weiteren nicht verkneifen. Drei Tage später schreibt er nämlich erneut einen Kommentar über das Unglück. Wagner bekommt mit seiner sechs Mal pro Woche erscheinenden Kolumne viel Macht von der Bild. Aber beim Schreiben der Kolumne für die Opfer des Absturzes schien er nicht nachzudenken oder nur auf skandalöse Zeilen aus zu sein. Wagner darf sich glücklich schätzen, dass seine Kommentare von den Lesern auf der Bild-Webseite nicht kommentiert werden dürfen.

Dennoch melden sich schockierte Leser der Kolumne zu Wort. Für den Rheinneckarblog bezieht Hardy Prothmann Wagners Stellung zu Wagners Text und schreibt, dass dieser „zum Miesesten, zum Abscheulichsten, zum Ekeleregensten gehört, was “Journalismus” hervorbringen kann“. Einen Tag nach Wagners Kolumne startete Jenny Jürgens eine Petition, welche gegen den Autor und seinen Text protestiert. Nach sechs Tagen hat die Petition bereits über 40 000 Unterstützer.

Vorschlag in der Emma: „Frauenquote fürs Cockpit!“

Offen spricht Luise Pusch in einem Gastbeitrag für die Frauenzeitschrift Emma an, was sie aus dem Flugzeugunglück schlussfolgert: Es muss mehr Pilotinnen geben. Ihre Begründung: Frauen haben eine niedrigere Selbstmordrate: „Amokläufe und so genannte Familienauslöschungen (…) sind Verbrechen, die nahezu ausschließlich von Männern begangen werden. Für Amokflüge, die offenbar häufiger vorkommen, als der Öffentlichkeit bewusst ist, gilt dasselbe.“

Zahlen, derer prüfender Recherche es nicht bedarf – stolpert man beim Lesen doch bereits über die irrsinnigen Zusammenhänge, die Pusch ziwschen der Tragödie und den Rechten für Frauen herzustellen versucht. Pusch hat mit ihrem Artikel jedem Versuch, für Frauen einzustehen, einen Bärendienst erwiesen. Dass Emma den Artikel als Gastbeitrag aufgreift, ist trotz der feministischen Ausrichtung ein qualitatives Armutszeugnis.

Wagner und Pusch: Egoismus siegt über Menschlichkeit

Man kann von Medien wie der Bild oder Emma nicht erwarten, auf Populismus zu verzichten. Bei manchen Themen wäre das aber mehr als angebracht. Es handelt sich bei dem Airbus-Absturz weder um eine Promi-Story, noch um Ereignis, das eine Forderung nach mehr angestellten Frauen im Flugbereich rechtfertigt. Die Rücksichtslosigkeit von Wagner und Pusch und deren Egoismus, das Thema für sich ausznutzen, sind beschämend.

Im Kontrast zu den beiden genannten Medien steht unter anderem SpiegelOnline. In Artikeln haben deren Autoren den Nachnamen des Co-Piloten zunächst abgekürzt, nennen ihn nun. Dazu äußern sich die Autoren unter einem Interview:  „Was wir auf SPIEGEL ONLINE auch weiterhin nicht zeigen, sind Nahaufnahmen von Angehörigen der Opfer. Denn dafür gibt es, solange die Personen nicht von sich aus an die Öffentlichkeit gehen, keinen Grund. Wir respektieren ihre Privatsphäre.“

In diesem Fall hat die Menschlichkeit für die Opfer und deren Angehöriger gegenüber der Sensationsgier, Auflage und Klickzahl gesiegt. Dass manch anderen Medien die Zahlen wichtiger als die Menschen waren, ist verachtenswert.

Weiterführende Quellen:

In einer Chronik fasst SpiegelOnline den Absturz zusammen:

http://www.spiegel.de/panorama/germanwings-flugzeugabsturz-die-letzten-minuten-von-flug-4u9525-a-1025910.html

Der Sensationsgier der Medien widmet sich Detlef Esslinger für die Süddeutsche Zeitung:

http://www.sueddeutsche.de/panorama/absturz-von-germanwings-flug-u-die-sucht-nach-erklaerungen-1.2412962

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Fall Edathy: Quo vadis, deutsches Recht?

Für viele hasserfüllte Kommentare in den Online-Netzwerken sorgte Sebastian Edathy. „Ich bin wütend“, twitterte Til Schweiger nach Bekanntgabe des Urteils – für 5000 Euro wurde das Verfahren eingestellt. Franz Josef Wagner bezeichnete Edathy in seinem bekannten Bild-Kommentar als „Verbrecher“ und urteilte: „Er muss in ein Krankenhaus, Spezialisten müssen sich darum kümmern.“

Der ehenalige Bundestagsabgeordnete der SPD soll  nach Informationen der Süddeutschen Zeitung zwischen 2005 und 2010 neun Mal Bilder oder Filme angefordert haben, auf dem neun bis 14-Jährige Jungen zu sehen sein sollen. Nicht alles zeige aber sexuelle Handlungen, es gehe auch um FKK-Bilder von Kindern, schreibt die Zeitung.

Edathy: „Moralisch nicht in Ordnung, aber legal“

„Ich weiß, ich habe viele Menschen enttäuscht. Das tut mir aufrichtig leid“, sagte Edathy bei einer Pressekonferenz im Dezember 2014. Schon da berichtete der 45-Jährige, der zuständige Richter habe „intern vor einigen Wochen den Vorschlag gemacht hat, das Verfahren gegen einer überschaubare Geldauflage einzustellen.“ Über das bestellte Material sagte er: „Ich war und bin nach wie vor der Überzeugung, dass das sicherlich moralisch nicht in Ordnung, aber legal war.“

Öffentlich geworden war der Skandal Anfang 2014. Kanadische Ermittler fanden heraus, dass die Firma Azov weltweit kinderpornografisches Material vertreibt. Die Ermittler übergaben im Oktober 2013 dem Bundeskriminalamt (BKA) eine Liste mit etwa 800 deutschen Kunden, darunter auch Edathy.

Einen Monat später wusste Edathy nach eigenen Angaben von Parteikollegen Michael Hartmann bereits von der Liste. Nachdem ein verdecktes Verfahren eingeleitet wird, erklärt er Anfang Februar 2014 aus gesundheitlichen Gründen seinen Verzicht auf das Bundestagsmandat. Kurz darauf durchsucht die Staatsanwaltschaft seine Wohnungen und Büros und findet unter anderem zerstörte Festplatten. Am selben Tag meldet Edathy seinen Dienst-Laptop als gestohlen. Edathy setzte sich ins Ausland ab, nachdem er nach eigenen Angaben bedroht wurde.

Oppermann telefoniert vier Minuten lang mit BKA-Chef – und dieser spricht nicht?

Welche Informationen daraufhin wann und an wen weitergegeben wurden, sorgt bis heute für Zündstoff. Im Zentrum stehen zwei Aktionen: Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) informierte seinen Koalitionspartner und SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel über den Fall Edathy. Nach öffentlichem Druck zwang ihn diese Aktion im Februar 2014 zum Rücktritt.

Über Gabriel gelangt die Information zum Parteikollegen Frank-Walter-Steinmeier, der widerrum dem damaligen Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, berichtet. Um sich zu vergewissern, ruft Oppermann BKA-Chef Jörg Ziercke an. Offiziell durfte Ziercke, ebenfalls SPD-Mitglied, keine Auskunft geben – und doch wusste Oppermann im Nachhinein Bescheid.

Ein Telefonat, das der Beschreibung Oppermanns nach ziemlich komisch abgelaufen sein muss. Nach dessen Angaben habe er Ziercke lediglich seinen Wissenstand vorgetragen. Nachdem dieser weder kommentiert, noch dementiert habe, habe er das als Zustimmung gewertet. Ziercke sagte im Innenausschuss, er habe sich in dem über vierminütigen Gespräch lediglich mit seinem Namen gemeldet.

Edathy nicht vorbestraft – SPD will ihn aus der Partei ausschließen

Für die Einstellung des Verfahrens zahlt Edathy eine Geldauflage von 5000 Euro an den Jugend- und Kinderfeuerwehrverband Niedersachsen. Der Kinderschutzbund war zuvor als Empfänger angedacht gewesen, hatte das Geld aber abgelehnt. Für das Urteil musste Edathy zudem aussagen, sich im Internet kinderpornografisches Material besorgt zu haben. Damit gilt der 45-Jährige als nicht vorbestraft. Einen Tag später schreibt Edathy über sein Facebook-Profil, dass ein Geständnis von ihm nicht vorliege. Die Staatsanwaltschaft sei mit dem Wortlaut seiner Erklärung einverstanden gewesen.

Die SPD nahm bereits vor einem Jahr ein Parteiausschlussverfahren auf – unterbrach es aber wegen laufender Ermittlungen. Nun drängt die Partei auf seinen Ausschluss: „Wir sind fassungslos darüber, dass Sebastian Edathy keinerlei Reue erkennen lässt und sich mit keinem Wort an die Opfer wendet“, sagte Partei-Vize-Vorsitzender Thorsten Schäfer-Gümpel.

Im Fall Edathy gibt es weiterhin eine zentrale ungeklärte Frage: Wer wusste wann Bescheid? Letztlich wurde die Affäre lediglich Friedrich zum Verhängnis. Andere mögliche Informanten Edathy´s von Seiten der Staatsanwaltschaft oder Politik wurden bisher nicht bekannt oder belangt.

 


AKTUALISIERUNG:

  • Die SPD hat nun einen Antrag zum Parteiausschluss von Edathy gestellt. Dieser lehnt einen Austritt aus der Partei weiterhin ab. Da ein Mitglied nur bei vorsätzlichem Verstoß gegen die Satzung ausgeschlossen werden kann, bleibt die Lösung unklar, wie die taz berichtet.
  • Mit ihrer Titelseite zeigt die Berliner Zeitung mittlerweile klar, wie sie im Fall Edathy denkt.
  • Wie der Spiegel aufdeckte, soll es zwischen Oppermann und Ziercke ein zweites Telefonat gemacht haben. Später seien Belege des zweiten Telefonates aus BKA-Listen entfernt worden.
  • Die taz berichtet: Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz kritisierte in einem Gespräch mit der Welt die Informationspolitik Oppermanns und Zierckes. Demnach seien deren Aussagen „immer latent unschlüssig.“

 

Weiterführende Quellen:

 

Der Kabarettist Volker Pispers geht auf den Fall Edathy ein (Ab Minute 2:17):

Die Pressekonferenz vom Dezember 2014 mit Stellungnahmen Edathy´s:

Ein LKW-Spediteur protestiert gegen das Urteil und bedruckt seine Fahrzeuge:

http://www.huffingtonpost.de/2015/03/10/lkw-protest-gegen-edathy-urteil-sonst-hatten-sie-ihn-ja-richtig-drangekriegt_n_6841134.html

Auf rechtliche Belange untersucht Thomas Fischer das Verfahren für Die Zeit:

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-03/geldbusse-edathy-kinderpornografie-prozess